10 / 2006 Schleichwerbung bei SAT1

Ratsrügen gegen den Allgemeinen Wirtschaftsdienst AWD und die Agentur Connect TV
 

Der Vorfall:
 
Unter dem Titel „20.000 Euro für einen Experten-Auftritt“ berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 14.10. 05. über „die Finanzbranche und ihre Schleichwerbung im Fernsehen“. Im Mittelpunkt des Artikels stand der Allgemeine Wirtschaftsdienst AWD mit Sitz in Hannover. Zwischen Mitte 2000 bis Ende 2002 soll der AWD rund 1,1 Millionen Euro für 52 Beiträge und Interviews auf SAT.1 gezahlt haben – offiziell für den Erwerb sogenannter Zweitverwertungsrechte im internen Bereich. Abgewickelt wurde das Geschäft über die Agentur Connect TV im schweizerischen Locarno.
 
Die SZ veröffentlichte Passagen aus den Rechnungen von Connect TV an den Bereich Presse/Öffentlichkeitsarbeit des AWD: „,TV-Projekt SAT.1, Thema: Rentenmarkt… Sendetermine: 25.11.2002’ (…) Eingefügt ist: ,Kosten für Rechteerwerb: 20.450 Euro’“. Die zitierten Stellen legen nach Ansicht der Autoren des Artikels den Verdacht nahe, dass die Summen vorwiegend für die Platzierung von Themen und AWD-Experten im Programm gezahlt wurden.
 
Der AWD nahm auf Anfrage des DRPR dazu Stellung. Sein Sprecher Béla Anda schreibt: „Der AWD hat weder TV-Beiträge produziert noch platziert, noch auf Art und Weise der Produktion etc. inhaltlich Einfluss genommen. (…) Die Kosten für den Erwerb der Zweitverwertungsrechte waren angemessen, weil der AWD selbst nicht in der Lage gewesen wäre, vergleichbares Material zu vergleichbaren Preisen zu produzieren und die Beiträge waren für Mitarbeiterveranstaltungen sehr gut geeignet.“
 
Zu Beginn seines Briefes an den Rat bestreitet Béla Anda die Zuständigkeit des DRPR und droht mit rechtlichen Schritten „für den Fall, dass Sie sich in irgendeiner Art und Weise negativ oder gar in Form einer Rüge etc. über unser Unternehmen äußern.“
 

Das Urteil:
 
Bonn, 12.12.06. Schleichwerbung stellt eine unzulässige Form der Zuschauerbeeinflussung dar. Sie ist nicht nur durch die Rundfunkstaatsverträge verboten. Auch der PR-Code de Lisbonne (Art. 4) und eine Verhaltensrichtlinie des DRPR zu Schleichwerbung und Product Placement gebieten offene und leicht als solche erkennbare Werbemaßnahmen.
 
Der DRPR spricht gegen den AWD wegen der nicht transparenten Platzierungen von Themen und Experten auf SAT.1 und gegen die vermittelnde Agentur Connect TV öffentliche Rügen aus.

 
Die Urteilsbegründung:
 
Der DRPR geht in seiner Urteilsfindung davon aus, dass die seitens AWD gezahlten Beträge in starkem Maße für die getarnte Platzierung von Themen und AWD-Experten in SAT 1-Sendungen gezahlt wurden und damit der Tatbestand unzulässiger Schleichwerbung gegeben ist. Dies ergibt sich aus folgenden Sachverhalten:
 
• Mit 1,1 Millionen Euro in etwa 1,5 Jahren hat der AWD erhebliche Mittel aufgewendet. Dass dieses Geld ausschließlich für interne Zweitverwertungsrechte ausgegeben und „zur Mitarbeiterschulung und Mitarbeitermotivation eingesetzt“ wurde, ist für den Rat schwer vorstellbar.
 
• Die Abrechnung der vermittelnden Agentur Connect TV für das 4. Quartal 2002 enthält bei der zweiten von acht Einzelplacements den Vermerk: „Auftragswert um 50% reduziert, da im Frühstücksfernsehen keine Bauchbinde eingeblendet wurde und der Beitrag somit ohne Placement gesendet wurde.“ Mindestens 50% des insgesamt gezahlten Geldes dienten demnach nicht dem Rechte-Erwerb, sondern der eindeutigen Platzierung des AWD in den Sendungen.
 
• Die Rechnungen des Vermittlers Connect-TV mit Themen und Sendeterminen weisen eindeutig ein „TV-Projekt“ aus. Unter „Projekt“ wird gemeinhin nicht ein bloßer Rechte-Erwerb verstanden, sondern eine strukturierte, auf einen bestimmten Zweck hin angelegte komplexere Aktivität bzw. Zusammenarbeit.
 
• Der AWD machte geltend, dass er „weder TV-Beiträge produziert noch plaziert noch auf Art und Weise der Produktion etc. inhaltlich Einfluss genommen“ habe. Aber jeder AWD-Experte, der in den bezahlten Ratgeber-Sendungen zu Wort kam, wird (durch die „Bauchbinde“, s. Pkt 2) das Ansehen der eigenen Firma propagiert und damit inhaltlichen Einfluss genommen haben.
 
• Der Sender SAT.1 ist für sein Fehlverhalten öffentlich bestraft worden. Alleine kann er aber nicht schuldig gewesen sein. Der AWD und die übrigen Geschäftspartner des Senders wurden spätestens mit dem Urteil der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK) darüber informiert, dass die fraglichen Geschäftspraktiken mit SAT.1 unzulässig waren. Der AWD hätte sich nachträglich davon distanzieren können.
 
• Auf den o. g. Artikel in der Süddeutschen Zeitung hat der AWD nach Auskunft des Autors Klaus Ott nicht reagiert. Wären die Vorwürfe in dem Beitrag unhaltbar, hätte der AWD der Redaktion zumindest seine Sicht der Vorgänge mitteilen, wenn nicht sogar auf eine Korrektur drängen können.
 
In seiner Antwort auf die Fragen des Rats zu dem Fall bestreitet der AWD die „Rügebefugnis“ des DRPR. Bela Anda schrieb: „Solche Befugnis haben entweder staatliche oder Verbandsgerichte aufgrund gesetzlicher Grundlage oder aber Verbände für ihre Mitgliedsunternehmen.“ Der Rat weist diese Auffassung eindeutig zurück und bezieht sich auf den dritten Grundsatz seiner Statuten. Dort heißt es: „Der Rat wird sich auch mit beanstandeten PR-Vorgängen befassen, die von Nichtmitgliedern der Trägerorganisationen und Nichtfachleuten ausgelöst oder veranlasst wurden.“
 
Grundlage der Ratsstatuten ist die Werteordnung in unserer Gesellschaft: Wer sich gegenüber Öffentlichkeiten äußert – oder es trotz sittlichem Gebot unterlässt -, unterwirft sich allgemeingültigen moralischen Regeln. Diese wurden von Selbstkontrollorganen der mit Öffentlichkeitsarbeit befassten Berufsorganisationen unter Berücksichtigung geltender moralischer Maßstäbe formuliert; ihre öffentliche Durchsetzung wurde durch Jahrzehnte widerspruchsfrei akzeptiert.
 
Die Zuständigkeit der Räte kann daher als gesellschaftlich anerkannt gelten. Sie hat auch rechtlichen Bestand zumal mit Bezug auf Nichtmitglieder der Trägerorganisationen und Nichtfachleute. Ein letztinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juli 2006 (Aktenzeichen: 15U30/06) hat bei der Abweisung einer gegen den Deutschen Presserat gerichteten Klage festgestellt, dass Urteilssprüche von „Räten“ generell als Meinungsäußerungen gelten können, die an ethische Maßstäbe anknüpfen und appellativen Charakter haben. Räte üben keine Disziplinarrechtssprechung nur für Mitglieder aus.
 
Die in Locarno residierende, bis 2003 aber vornehmlich in Deutschland tätige Connect TV bestritt ebenfalls die Zuständigkeit des Rates. Sie wies zusätzlich darauf hin, dass sie künftig nicht mehr im PR-Sektor tätig sein werde, nennt sich aber weiterhin eine „Gesellschaft für Medien- und Kommunikationsmanagement“. Zum Zeitpunkt der Platzierungen stand sie unter der Leitung der deutschen Staatsbürger Wolfgang Overthun und Hans-Joachim Müller und der Österreicherin Michaela Wölfler. Der Rat spricht seine Rüge gegen die damalige Geschäftsleitung der Connect TV aus.