Der Kodifizierungsprozess
Das Beispiel USA wirft die Frage auf, wie es denn überhaupt zu beruflichen Moralvorschriften kommt. Viele Berufsstände haben ihre spezifischen moralischen Grundsätze formuliert. In der Regel geschieht es durch ihre Verbände. Ihre Mitglieder knüpfen an diese Texte unterschiedliche Erwartungen. Die einen werden nach ethischen Maßstäben für den Berufsstand suchen, andere nach qualitätssichernden, also nach praktischen Verhaltensregeln, und manche werden beide Ziele zusammenbinden wollen. Pflichten und Erfolgsrezepte werden dadurch vermischt.
Die Ethikkommission der DPRG
Die DPRG hatte 1988 eine Ethikkommission gegründet. Sie sollte sich grundsätzlich mit dem existierenden Regelwerk befassen, denn gerade die PR-Kodizes hatten damals manche herbe Kritik erfahren: Sie seien zu abstrakt, unspezifisch, wenig aussagekräftig und unsystematisch (vgl. Bentele 1992: 159). 1991 brachte die Kommission als Ergebnis ihrer Beratungen die „Sieben Selbstverpflichtungen eines DPRG-Mitglieds“ heraus.
Davor hatte man sich zu fragen, ob die alten Kodizes für obsolet erklärt werden müssen. Es wurde entschieden, sie nicht anzutasten. Sie sollten wie eherne Gesetzestafeln ihre universale Gültigkeit behalten. Diese Maxime wird erst in unseren Tagen in Abrede gestellt. Die Global Alliance der nationalen PR-Verbände versucht zur Zeit einen neuen PR-Kodex auf Zuruf zu formulieren. Der 2003 im Internet vorgelegte Text bezieht qualitätssteigernde Verhaltensweisen ein (www.globalpr.org) Im deutschen Sprachraum hat er daher die bestehenden internationalen Regelwerke bislang nicht ersetzen können.
Prämissen für ethische Standards
Wie kamen die Sieben Selbstverpflichtungen zustande? Vielleicht kann ihre Entstehung als exemplarisch für vergleichbare Regelwerke gelten. Vor ihrer Formulierung erörterte die Ethikkommission die Prämissen, unter denen sie ethische Standards für den Berufsstand ermitteln wollte:
1. Sie lehnte erstens den Einbezug von Qualitätsstandards in einen moralischen Normenkatalog ab.
2. Sie lehnte zweitens den oft geforderten ›Paradigmenwechsel‹ von der Publicity zum Dialog als einzig richtiger und moralisch einwandfreier Kommunikationsweise ab. Es ging ihr um eine ›Ethik für den Alltag‹ und für alle Kommunikationsweisen.
3. Es ging ihr drittens darum, die Kodifizierung eines ethischen Verhaltens von berufsstrategischen Überlegungen freizuhalten; zum Beispiel von dem strategischen Ziel, über eine Ethikdiskussion das sehr durchwachsene Ansehen der PR-Zunft anzuheben. Günter Bentele registrierte damals diese Tendenz. Da werde das Thema PR-Ethik »vor den Kulissen« bewusst als Mittel zur Imageverbesserung der PR eingesetzt, während »hinter den Kulissen eine spezielle PR-Ethik für unrealisierbar bzw. unrealistisch gehalten wird« (Bentele 1992: 152). Solche Bestrebungen missachten allerdings die alte PR-Weisheit, dass sich Images nur dann verbessern lassen, wenn man sich selbst verbessert. Reine Schönfärberei würde gerade die übrige Kommunikationsbranche schnell durchschauen.
4. Viertens wollte die Ethikkommission der so genannten ›deskriptiven Ethik‹ nicht allzu viel Beachtung schenken. Es sei gewiss vorteilhaft, durch Umfragen festzustellen, wo der Zunft der Schuh drücke. Aber dann sei man allzu leicht geneigt, statt der Frage: Was sollte sein? die sehr viel bequemere zu stellen: Wie hätten wir ´s denn gern?
5. Was sie fünftens schließlich auf keinen Fall zulassen wollte, ist der aus den ethischen Diskussionen der Journalisten herauszuhörende Verweis auf die Schlechtigkeit der anderen und der Verhältnisse im Allgemeinen. Das sei ein Totschlagargument. Man könne sich immer auf andere beziehen. Der Berufsstand habe es – philosophisch genommen – sogar fast ausschließlich mit Relationen zu tun; hier aber gehe es um seine Substanz.
Die 7 Selbstverpflichtungen
Die DPRG-Ethikkommission befasste sich daher mit der Statuierung moralischer Grundsätze, die für alle PR Praktizierenden auf allen Rängen und bei der Anwendung aller denkbaren Kommunikationsweisen zu gelten haben. Es ging darum, komplizierte Arbeitsbedingungen auf wenige einfache Sachverhalte zu reduzieren und diese als moralische Herausforderungen zu werten. Solche Sachverhalte ließen sich aus den im Grunde nur fünf Beziehungsfeldern ableiten, in denen PR geschieht: die Öffentlichkeit, der Arbeit- oder Auftraggeber, die Konkurrenten, die Medien und der eigene Berufsstand. Sieben moralische Grund-Sätze ließen sich auf diese fünf Beziehungsfelder beziehen. Dabei kam es auf einprägsame Formulierungen an, denn Kodex-Texte sollten einfach, plausibel und repetierbar sein.
Der Text wurde unter dem Vorsitz des Autors am 16. Januar 1991 in Gravenbruch bei Frankfurt/Main verabschiedet. Er hatte die Form einer Selbstverpflichtung zunächst jedes DPRG-Mitglieds, später jedes PR Praktizierenden. Sich selbst zu verpflichten bedeutet, sich freiwillig und bewusst zu binden. Eine Selbstverpflichtung hat den Charakter eines Gelöbnisses und ist darin vergleichbar dem hippokratischen Eid der Ärzte. Auch die US-amerikanischen PR-Leute kleideten ihre Kodexsätze neun Jahre später in Selbstverpflichtungen („pledges“).