Die Beurteilungskriterien des Rates
Was sind die „für richtig gehaltenen Prinzipien“ (v. Hentig) im Falle der PR? Der PR-Rat beachtet bei seinen Urteilsfindungen vor allem die Kodizes des eigenen Berufsstandes. Davon gibt es zwei internationale und einen nationalen. International sind der Code d’Athenes, ein Moralkodex, und der Code de Lisbonne, ein Verhaltenskodex. Für deutsche PR-Leute gelten zudem die Sieben Selbstverpflichtungen von PR Praktizierenden. Diesen Text zieht der PR-Rat bei seinen Beurteilungen deshalb mit heran, weil er die konkretesten Bestimmungen enthält. (Alle Texte unter www.drpr-online.de/Kodizes)
Auch branchenfremde Kodizes werden beachtet
Der PR-Rat beachtet im Prinzip „auch die Berufskodizes und Richtlinien anderer Kommunikationsverbände und Institutionen“, wie es in seinen Statuten heißt. Unter dem Titel »Die Normen des Berufsstandes PR« hatte er daher einmal programmatisch alle Texte veröffentlicht, die für deutsche Kommunikatoren bei ihren globalen Kontakten relevant werden können: Es sind neben den drei genannten PR-Kodizes auch der österreichische und der nordamerikanische; sodann der internationale Code de Bordeaux der Journalisten, der deutsche Pressekodex samt seinen Richtlinien, die Richtlinien des Deutschen Werberates, der ephemeren Ethik-Kodex der deutschen Kommunikationswissenschaftler und in Auszügen die Europäische Fernsehrichtlinie, die deutschen Pressegesetze und Rundfunkstaatsverträge und die Pastoralinstruktion der katholischen Kirche von 1971 (Avenarius 1998a).
Die Bestimmungen dieser Regelwerke widersprechen sich nicht. Soweit sie die PR-Arbeit betreffen, bauen die Texte teilweise auf einander auf. Teilweise ergänzen sie sich. Teilweise stellen sie detailliert auf bestimmte PR-Aktivitäten ab wie Pressearbeit oder Product Placement oder Public Affairs. Es trifft also keineswegs zu, dass PR-Leute, wie ein Kritiker einmal zugespitzt formulierte, „quasi die freie Auswahl zwischen diversen, teils international kursierenden Ethiken genießen“ (Baum 2005: 322).
Der Kodex einer PR-Agentur
Ein Beispiel für das beschriebene Ineinandergreifen von Texten ist der Code of Conduct der ECC-Gruppe. Ihn haben sich 2001 die PR-Agenturen der Marke KohtesKlewes gegeben. Sie bestimmten darin ausdrücklich, dass die geltenden Kodizes des eigenen Berufsstandes und der Code de Bordeaux der Journalisten zu den Grundlagen ihres moralischen Selbstverständnisses gehören. Ihr Code werde, wie es in seiner Präambel heißt, „von den Partnern und Geschäftsführern sowie von jedem einzelnen Mitarbeiter verbindlich anerkannt. Jedem Mitarbeiter der Gruppe ist bewußt, dass Verstöße gegen diesen Code of Conduct disziplinarische Konsequenzen bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben können.“
Moral- und Verhaltenskodizes
Moralkodizes regeln das zwischenmenschliche Verhalten. Sie müssen daher universal anwendbar sein, “in the light of the sacred character of Man” (Matrat 1986: 17). Der Code d’Athenes, dessen Text Lucien Matrat entworfen hatte, gilt weltweit. Ihm liegen ethische Prinzipien der Öffentlichkeitsarbeit zugrunde, angehängt an die Deklaration der Menschenrechte: Sie handeln von der Würde des Menschen und von der Achtung, die ihm daher entgegengebracht werden muss.
Verhaltenskodizes befassen sich hingegen nicht mit der Würde des (Einzel-) Menschen, sondern enthalten, wie z. B. der europäische Code de Lisbonne, spezifische Verhaltensnormen der Profession PR gegenüber Auftrag- und Arbeitgebern, gegenüber den Medien und dem eigenen Berufsstand. Solche Verhaltenskodizes sind wichtige Ergänzungen der Moralkodizes. Sie haben allerdings nicht deren ehernen Charakter, sondern können, da sie den Gebräuchen und Sitten des jeweiligen Landes entsprechen, von Zeit zu Zeit neueren Entwicklungen angepasst, also geändert werden.
So wurde der Code de Lisbonne 2001 um eine Bestimmung gekürzt: Sein Paragraph 11, der verbot, PR-Fachkräfte erfolgsabhängig zu honorieren, wurde auf Anregung des deutschen PR-Rates europaweit durch Beschlüsse der nationalen Mitgliederverbände aufgehoben. Es geschah nach langen, intensiven Debatten in der PR-Publizistik und nach einem vom Rat einberufenen großen Hearing in Bonn, bei dem Befürworter und Gegner einer Streichung angehört wurden.
Das Beispiel USA und das Protokoll der Global Alliance
Aber selbst Moralkodizes werden von den Verbänden bisweilen ihren sich wandelnden Vorstellungen angepaßt. Der Kodex der Public Relations Society of America (PRSA) war anfänglich (1950) ein Moralkodex („Code of Ethics“), wurde später (1959) zu einem Berufskodex („Code of Professional Standards“) ausgebaut, mehrmals – 1963, 1977, 1983 – ergänzt, 1988 aber so stark gestrafft, dass er fast wieder als Moralkodex gelten konnte.
Im Jahr 2000 wurde er dann tatsächlich zum „Code of Ethics“ umfirmiert, was seinem neuen Inhalt aber nun wieder nicht unbedingt entspricht. Waren 1988 etliche Worthülsen und solche Sätze herausgenommen worden, die – recht banal – der Verbesserung des Ansehens dienen: kompetent zu sein, seinen Wissensstand ständig zu erweitern und sich gesittet zu verhalten („adhere to generally accepted standards of good taste“), so erscheinen sie jetzt wieder in einer der fünf neuen Selbstverpflichtungen eines PRSA-Mitglieds: „I pledge … to improve my individual competence and advance the knowledge and proficiency of the profession through continuing research and education…“
Das “Global Protocol on Ethics in Public Relations” der jüngst gegründeten Global Alliance nationaler PR-Verbände hat solche Sätze ebenfalls aufgegriffen. Gefordert wird in ihrem Schriftsatz “the mastery of particular intellectual skill through education and training” oder die Selbstverpflichtungen “to conduct ourselves professionally”, “to improve our individual competence”, „to advance knowledge and proficiency” (Skinner 2003: 18).
Moralische Vorschriften oder Erfolgsrezepte?
Moralische Vorschriften sehen anders aus. Sie sind im Gegensatz zu praktischen Verhaltensregeln durchaus harte, kantige Brocken: „Du sollst nicht lügen“, wäre so einer. Die hier angeführten Verhaltensweisen sind eher Erfolgsrezepte, teils aus einem Arbeitskatalog, teils aus Vertragsgrundsätzen erwachsen. Moralisch sind sie ohne Relevanz. Die Professionellsten und Erfolgreichsten sind nicht immer die Vortrefflichsten.
Qualitätsstandards einzuhalten und sich an Maßstäben der Effizienz messen zu lassen, gereicht einem Berufsstand zur Ehre. Wie das durchzusetzen ist, gehört zu seinen primären strategischen Aufgaben. Aber die moralischen Aspekte müssen davon getrennt werden. Das fällt PR-Leuten allerdings nicht leicht. So war zum Beispiel zwei Wahlperioden lang (1991–1997) die vormalige Ethikkommission der DPRG mit der Strategiekommission zusammengelegt. Ethik wurde zum Bestandteil verbandsstrategischer Erwägungen.
Selbst in den Handbüchern der PR-Zunft standen Kapitel über die Ethik der Öffentlichkeitsarbeit, so es sie überhaupt gab, lange Zeit im Kontext von berufsstrategischen Überlegungen. James Grunig und Todd Hunt zum Beispiel handelten 1984 die „Codes of professional ethics“ im Kapitel über „Professionalism in Public Relations“ ab (Grunig/Hunt 1984: 72). Erst für ihre Neuauflage planen sie ein eigenständiges umfangreiches Kapitel über „Ethics and social responsibility“, und sie wollen es auch weit nach vorn stellen: „to emphasize the crucial role of ethics and social responsibility in public relations and in its contribution to management decision making“, wie es im Manuskript für eine noch immer nicht gedruckten zweiten Auflage heißt.