Die Entstehung der freiwilligen Selbstkontrollen in Deutschland

PR ist wie der Journalismus in Deutschland ein offener Beruf, der keinen Zugangsbeschränkungen unter­liegt. Seine Ausübung setzt weder ein universitäres Diplom noch eine Zulassung durch eine Berufs­kam­mer voraus. In vielen Unter­nehmen, Verbänden, Hochschulen, Behörden, Parteien und Kirchen wird er dennoch professionell wahrgenom­men. Ihre PR-Mit­arbeiter sind Absolventen von PR-Aus­bildungs­institu­ten oder durch jahrelange Erfahrun­gen aus­gewiesen. In anderen Organi­sa­tio­nen nehmen sich die Chefs selbst der Informierung von Presseleuten und Öffent­lichkeiten an. Auch sie machen folglich PR.
 
Da es nahezu keine Organisation mehr gibt, die ohne zumindest sporadische Kontakte mit Öffent­lichkei­ten wirken kann, ist die Zahl der PR Ausübenden in Deutschland unübersehbar groß und befindet sich auf den unterschied­lichsten Rängen ihrer Hierarchien. Nur ein Bruchteil von ihnen ist in Verbänden orga­nisiert.
 
Die Kommunikationsverbände, die den Deutschen Rat für Public Relations tra­gen, sind mit je rund 2000 Mitgliedern die Deutsche Public Relations Ge­sellschaft und der Bundes­ver­band deutscher Pressesprecher sowie mit 130 Mitgliedern die de’ge’pol – Deutsche Gesellschaft für Politikberatung als Berufsverbände. Hinzu kommt der nur rund 25 Mitglieder zäh­lende, daher exklusive Wirtschaftsverband der Gesell­schaft der PR-Agenturen (GPRA). Diese Gesell­schaft begrenzt die Mitgliedschaft ausdrücklich auf aus­gewählte Firmen; die Zahl der in Deutschland wir­kenden PR-Agenturen dürfte ein paar hundertmal größer sein.
 
Hinzu kommen etliche PR-affine Vereinigungen. So befinden sich in den beiden deutschen Jour­na­listen­verbänden rund 1500 „in Organisationen tätige Journalisten“. Es sind PR Ausübende, die sich ihren ehe­mali­gen beruflichen Status bewahren wollen. Auch die Zunft der Unternehmensberater muss heute zu großen Teilen den Kommuni­ka­tionsberatern und damit der PR zugerechnet wer­den.
 
Wer also spricht für den Berufsstand PR? Wer darf PR-Verhalten beurteilen, gegebenenfalls ver­urteilen? Die drei genannten PR-genuinen Kommunikationsverbände sprechen sich diese Aufgabe zu. Nichtmit­glie­der wehren sich dagegen; sie rufen nach staatlichen Gerichten. Es ist ein Streit um Repräsentanz und Legitimität. Zur Zeit scheint er im Sinne der Verbände und ihres PR-Rates ent­schieden zu sein.

 
Entstehungsmuster
 
Kommunizieren kann zu Unredlichkeiten verführen. Sollte in solchen Fällen der Gesetzgeber eingreifen? Um dies zu verhindern, wurden in Deutschland Organe geschaffen, die der freiwilligen Selbstkontrolle der Arbeit der Kom­mu­nika­toren dienen: der Presse- und der Werberat. Nur der PR-Rat wich von diesem Entstehungsmuster ab. Er wurde als letzter der drei genannten Räte erst 1987 gegründet, als einziger nicht aus Furcht vor dem Gesetzgeber, eher wegen des notorisch schlechten Rufs der PR-Zunft. Aber diesen Grund macht heute auch der Presserat gel­tend. Anlässlich der Feier seines vier­zig­jähri­gen Bestehens 1996 nannte sein damaliger Sprecher Robert Schweizer die Wahrung des Ansehens der Pres­se ein wichti­ges Motiv seiner Existenz.
 
Wie hatte alles begonnen? Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts legte das Bundesinnenministerium einen Gesetzes­entwurf vor, der dem Staat, wie die Presse es formulierte, zum Teil recht drastische Eingriffs­mög­lichkeiten in die Pressefreiheit einräumen sollte. Die Presse ergriff damals die Flucht nach vorn und gründete 1956 ostentativ ein eigenes Kontrollorgan: den von Journalisten und Verlegern paritätisch beschickten Deutschen Pres­se­rat. 40 Jahre später räumte sein Ge­schäfts­führer Lutz Tillmanns freimütig ein, der größte Erfolg dieses Rates sei es ge­­we­sen, dass man staatliche Zwangs­maßnahmen gegen die Presse abwehren konnte.
 
Die gleichen Motive standen am Anfang des sehr viel jüngeren Deutschen Werberats. Er datiert aus der Zeit der 68er Unruhen. Damals kritisierten nicht nur die Studenten den ›Konsumterror‹ der Wirtschaft und ihre mani­pu­lie­ren­de Mei­nungsmacht. Auch unter den Intellektuellen waren die Vorbehalte gegen die Werbung groß. Viel Zuspruch fand daher die Forderung nach einem zentralen Aufsichtsamt für Werbung. Vorbild war der Ombudsmann, den sich die Schwe­den dafür geschaffen hatten.
 
Die Werbewirtschaft suchte daher wie Jahre zuvor die Presse nach den besten Möglichkeiten einer Selbst­kontrolle. Sie wollte dazu ursprünglich mit den Verbraucherverbänden zusammenarbeiten. Aber deren Vertreter blie­­ben äußerst skeptisch. Sie misstrauten den Werbern grundsätzlich und glaubten nicht, dass es je zu einer effekti­ven Werbe­selbstdisziplin kommen werde. Auch der Staat blieb skeptisch. Noch 1980 erklärte die Bundes­familien­mi­nis­terin Antje Huber, sie wolle notfalls gesetzlich durch­setzen, dass »Busen, Po und lange Beine« aus der Wer­bung verschwinden. Sie widerrief diese Forderung kurz darauf jedoch mit dem Hinweis auf die – entgegen aller Ver­brau­cherskepsis – erfolgreiche Tätigkeit des seit 1972 existierenden Deutschen Werberats. (Deutscher Werbe­rat 1997: 22) Und dieser bekräftigte anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums den Kampf gegen die Tendenz, alle auf­tre­­ten­den Probleme durch Gesetze zu regeln, als sein zentrales Ziel.
 
Staatliche Eingriffe drohten den Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeiter hingegen nie. Hinter den vielen als ge­wich­tig oder gefähr­lich geltenden medialen wurden die primären Kommunikatoren kaum wahrgenommen. Oder sie gal­ten per se als moralisch zweifelhafte, weil nur dem privaten Eigennutz verpflichtete Berufsgruppe; sozusagen eine Un­ter­gruppierung der Werbung­treiben­den. Auch die Wissenschaft brauchte Jahrzehnte, bis sie sich von einer Medien- zu einer Kommunikationswissenschaft weiterentwickelte und selbst dann noch nicht überall die ganze Band­breite der öffentlichen Kommunikation ins Visier nahm.