Die moralischen Prinzipien

Die aufgezeigten Probleme sollten nachdenklich stimmen. Die Ethik der PR, die die Grundlage des Wirkens eines PR-Rats ist, kann nicht nur auf altehrwürdigen Texten und aktuellen Anstandsregeln beruhen. Den mit der Fort­schrei­­bung der Regelwerke und zum Teil prekären Urteilsfindungen beauftragten Gremien ist es daher anzuraten, sich mit den Grundlagen einer Kommuni­ka­tionsethik zu befassen.
 
Diese ist zuförderst von weitergehenden Normen zu trennen, an denen heute recht häufig das Verhalten von Firmen oder Wirtschaftsverbänden gegenüber der Außenwelt gemessen wird: zum Beispiel die Nachhaltigkeit ihres Wirkens (sustaina­bi­li­ty), ihre soziale Verantwortungsbereitschaft (social responsibility) oder ihr nachbarschaftliches Engage­ment (corporate citizenship). Vielfach sind es die PR-Leute in den Organisationen, die ein solches gemeinwertorien­tiertes Ver­halten anmahnen oder leisten. Es wird sogar ihrer Berufsrolle zugeschrieben. Schließlich sind gerade sie mit der Pflege öffentlicher Beziehungen (public relations) betraut. Aber Versäumnisse auf diesen Gebieten einzu­kla­gen, kann nicht die Aufgabe von Ethikräten sein. Das muss der publizistischen und bisweilen der historischen Kritik über­lassen bleiben; und es entbindet nicht von der Notwendigkeit, sich mit den Grund­lagen einer Kommuni­ka­tions­ethik zu befassen. Die bleibt der PR auch dort nicht erspart, wo sie vornehmlich bedacht ist, Gutes zu tun und (nur darüber) zu reden.
 
Die Konzepte der PR-Wissenschaft
 
Wird die Frage nach den Grundlagen einer Kommuni­ka­tions­ethik an die PR-Wissenschaft weitergereicht, fallen die Antworten kontrovers aus. In Deutschland wur­den die ethischen Prinzipien der PR erstmalig im Frühjahr 1993 in München wissenschaftlich erörtert. Auf Veran­las­sung der Herbert Quandt-Stiftung trafen sich dort amerikanische und deutsche Wissenschaftler und disku­tier­ten „nor­mative Aspekte der Public Relations“ (Armbrecht/Zabel 1994). Aber das waren disparate Be­stands­aufnahmen, viele kontroverse Aspekte, keine einzige systematische Darstellung einer Ethik des Kommunizierens.
 
Etwa zehn Jahre davor entstanden James Grunigs und Ron Pearsons grundlegende Arbeiten über den hohen mo­ra­li­schen Wert des Dialogs. Sie erachteten die drei anderen Kommunikationsweisen der PR-Leute – die Pub­li­ci­ty, die In­formationstätigkeit und die Überzeugungsarbeit – als moralisch anfechtbarer. Nur die symmetrische Zwei­we­ge­­kom­munikation, also der Dialog, berge den erforderlichen Respekt vor dem Kommunikationspartner und sei da­her mora­lisch gerechtfertigt. Dieses Paradigma gilt in den USA noch immer recht weitgehend. In Deutschland be­gann man erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts mit zusammen­fassenden Darstellungen der „Ethik des Kom­mu­­ni­zierens“
(Avenarius 1998b).
 
Sind Partikularinteressen unmoralisch?
 
Welche grundlegenden moralischen Prinzipien gelten für eine saubere PR-Arbeit? Wer ihr nicht viel ab­gewinnen kann, fertigt sie mit dem Hin­weis auf deren stets partikulare Interessen ab (Baum 2005: passim). Das heißt im Um­kehr­schluss, dass nur der­jenige sauber arbeitet, der sich für ein höherwertiges Ge­mein­wohl einsetzt. Den Be­reichen Po­li­tik, Wissenschaft und Presse schreibt man die Wah­rung solcher allgemei­ne­ren Interessen zu­. In einer Demo­kra­tie kann dies aber nur nach einem Selek­tions­prozeß unter sich wider­strebenden Interes­sen geschehen. Kommt dies ohne „partikulare“ Stellung­nahmen aus den genannten Bereichen zustande?
 
Nur der Anschein scheint dem zu widersprechen. Der Parlamentarier, heißt es, ist nur seinem Gewissen und keinem Partei­interesse unter­wor­fen. Aber er wird trotzdem entlang einer Par­­teilinie und den Vor­stellungen seiner Klientel ent­schei­den. Der Wissen­schaft­ler, heißt es, ist idealiter sine ira et studio. Seit Habermas’ Schriften über „den funda­men­ta­len Zusammenhang von Er­kennt­nis und Interesse“ weiß jeder Wissen­schaft­ler aber, daß seine „er­kennt­nisleitenden In­teressen Zeugnis dafür sind, daß Erkenntnis­prozesse aus Le­bens­zusam­men­hängen hervor­ge­hen und in ihnen fun­gieren“ ((Ha­ber­mas 1970: 261). Der Journalist ist völlig ungebunden, heißt es. Er selektiert aber notwendigerweise Nach­rich­ten und folgt dabei implizit einem durch­aus partiku­la­ren In­teres­se, nämlich der dadurch an­­­ge­streb­ten Beach­tung seines partikularen Mediums.
 
Sie alle verfechten mehr oder weniger, bewußt oder unwillkürlich partikulare Interessen; und alle ma­chen dabei PR: die Politik, die Wissenschaft, die Presse (Avenarius 1997: 4ff). Es ist daher wenig ziel­füh­rend für die Auffindung mo­ra­lischer Prinzipien, solche PR nach der Wertigkeit ihrer edlen oder ba­nalen Interessen moralisch zu unter­schei­­den; sich also bei der Frage nach den grund­legen­den mora­li­schen Prinzipien der PR-Arbeit an den Aufträgen für diese Berufsrolle zu orientieren.
 
Vier Kategorien von Verfehlungen
 
Erfassen wir statt dessen das Verhalten und das Handeln von PR Praktizierenden! Ihre empirisch-induktiv aus der PR-Praxis erkennbaren möglichen Verfehlungen sind mit vier Stichworten zu umschreiben: Nötigung und Drohung sind die einen großen Versuchun­gen, Bestechungen und Täuschung die anderen.
 
„Die Unabhängigkeit und Freiheit meiner Gesprächspartner werde ich achten und daher ihnen gegenüber keine Machtmittel einsetzen. Ich enthalte mich insbesondere jeder Nötigung.“ So steht es in der sechsten der Sieben Selbstverpflichtungen der PR Praktizierenden. Nötigungen können zum Beispiel durch Anzeigenentzug oder Aus­ladungen ge­sche­hen, Drohungen durch den Verweis auf solche Maßnahmen.
 
Bestechungen respektive Korrumpierungen geschehen durch üppige Geschenke und Einladungen oder durch Schein-Aufträge an Presseleute oder Politiker und dabei vor allem durch inhaltsarme Beraterverträge. Der Ge­ne­ral­ver­dacht, dass PR korrum­piere, wird immer wieder gegen die ganze Zunft erhoben. Es ist allerdings ein Spiel, an dem stets zwei Seiten beteiligt sind: der Korrumpierende und der Korrumpierte.
 
Täuschungen hingegen sind einseitige Vorgänge seitens der PR: falsche oder verweigerte Auskünfte, irre­lei­ten­de Mit­teilungen, die ganze Palette der Schleichwerbung. Die stete Vortäuschung gefälliger Sach­ver­halte, so lau­tet ein gängiges Vorurteil, ist der genuine Auftrag des Berufs­standes PR. Mit jeder Image­stra­te­gie trachte man, Publika über missliche Realitäten zu täuschen. Mit jeder Auskunft würden höchstens partielle Wahrheiten mitgeteilt, die ganze aber verborgen gehalten.
 
Doch das alles gelingt nur noch zum Teil. Die öffentliche Wach­samkeit nimmt mit wachsender Presse­viel­falt, vor allem aber durch die offenen Diskussionen im Internet zu. Das Schön­färben und Schönreden, das gewiss jeder­mann zu eigen ist (sogar der Presse: bei ihren Verweisen auf eigenes Verhalten), kollidiert vermehrt mit der Er­war­tung in vielen Teilöffentlichkeiten nach Trans­parenz. Man will die Vorgänge in Wirt­schaft und Politik transparent ge­macht sehen; man will sie durch­schau­en. Und Kolli­sionen sind angesagt, wenn ex­ter­nen Forderungen nach Trans­parenz interne Be­wah­rungs­mecha­nis­men für die eigene Repu­tation entgegen­stehen.
 
Erhöhte Transparenz auf drei Tätigkeitsfeldern
 
Drei signifikante Phänomene haben die Entwicklung zu vermehrter Transparenz eingeleitet. Sie begann auf dem Ge­biet der Finanz-PR. Zwar gibt es noch immer etliche Verschleierungsversuche, aber sie halten vor den Augen von Ana­lysten meist nicht lange stand. Das Börsengeschehen erheischt Transparenz. Und diese Forderung strahlt in­­zwi­schen auf die nichtfinanziellen Geschäftsfelder eines börsennotierten Unternehmens ab. Die Rufe nach einer Cor­­po­rate Governance, die heute durch Deutschland hallen, zeigen die kommenden Entwicklungen an.
 
Ein zweites Feld, auf dem die PR zu Transparenz angehalten ist, sind kritische Situationen oder Kata­stro­phen. Kri­sen-PR führt bisweilen zu einer rücksichtslosen, sogar »brutalstmöglichen Aufklärung« – man erinnere sich der Wor­­­te des hessischen Minis­terpräsidenten Roland Koch zu Beginn des hessischen Spendenskandals 2001. Das gilt für die deutsche Parteienlandschaft wie für Behörden oder die Industrie. Viele werden auch weiterhin versucht sein, Miß­lichkeiten zunächst zu verschleiern. Aber schon eine sehr alte PR-Regel besagt, dass wer nur die halbe Wahrheit sagt, über kurz oder lang mit der ganzen konfrontiert wird und dann das größere Problem hat.
 
Ein drittes Feld, auf dem sich die PR heute und in Zukunft zu rückhaltloser Aufklärung angehalten sehen sollte, ist die his­torische Rechenschaft über vergangenes Fehlverhalten einer Organisation. Gerade die deutschen Unter­neh­men haben in dieser Hinsicht bittere Lehren ziehen müssen. Es wird nicht mehr möglich sein, sein Verhalten ge­gen­über Zwangs­arbeitern im Zweiten Welt­krieg oder der Enteignung jüdischen Besitzes einfach zu verschwei­gen. Wenn es um die eigene Geschichte geht, ist jede Orga­nisation gut beraten, im Auge zu behalten, dass es für alle ver­gan­genen Vorfälle irgendwo auffindbare Zeugen gibt, die euphe­mistische Selbstdarstellungen jederzeit Lügen strafen können.
 
Alle drei Tätigkeitsfelder der PR kennen keine Dialogformen der Kommunikation. Auf allen drei Gebieten finden Ein­weg­infor­ma­tionen nach dem zweiten Grunig’schen Modell der public information statt. Dieses Modell geriet unter das ethische Verdikt der Amerikaner, weil sie lange Zeit vor allem den Macht- und Propagandafaktor der Infor­ma­tion im Blick hatten: Organisationen – bei Cutlip/Center/Broom vor allem Behörden – haben Informationsvorsprünge und nutzen sie zum Nachteil der Regierten aus. So schreiben Cutlip/Center/Broom in ihrem Handbuch »Effective Public Relations« im 15. Kapitel: »Beyond this conflicts is the inevi­table association of government information pro­grams with the word propaganda« (Cutlip/Center/Broom 2000: 500).
 
Nach dem „government information program“ der Regierung G. W. Bush über die Gründe des Irakkrieges wer­den die Autoren in eine nächste Auflage vielleicht wieder ein Adjektiv einfügen, das sie bis zur voran­ge­gan­ge­nen 7. Auf­lage nutzten: „the dirty word propaganda“ (Cutlip/Center/Broom 1985: 513). Dieses Raus und Rein bei der Qua­li­fizierung eines Begriffs bezeugt die schwankende Haltung der Kommunikationswissenschaft gegenüber der Pro­pa­ganda. Sie ist eine Ein­weg­­kom­mu­nika­tion gemäß dem ersten Grunigschen Modell der publicity und genauso häufig verdammt wie diese. Aber es gibt die propaganda fidei, Wahlpropaganda und politische Kampagnen, und PR-Leute sind daran maß­geblich beteiligt. Dürfen da­­­bei die Fetzen fliegen? Der Autor hatte dies unter Berufung auf die Bibel und Thomas von Aquin ein­mal bejaht (Avenarius 2002: 54). Aber die moralischen Anfechtungen sind da­bei ungleich größer als bei einer Informationsar­beit. Bei letzterer wird eine umfassende Aufklärung erwartet. Auch sie ist daher mit ho­­hen moralischen Anforde­run­gen ver­bun­den.
 
Ist der Dialog die effektivste Kommu­nikationsweise?
 
Dem Dialog ist im Vergleich zur Informationstätigkeit der PR eine gewisse, in der Anwendung aber eher nachrangige Bedeutung zuzumessen. Ron Pearson hat ihn in An­leh­nung an die ideale Sprechsituation von Habermas zur Grund­lage seiner ethischen Re­flexionen über PR ge­macht. Die sym­me­trische ist für ihn die moralischste Kommu­nikations­weise. Die Grunig-Schule folgt ihm darin weit­­ge­hend.
 
James und Larissa Grunig unternehmen in der großen Tri­lo­gie über „Ex­cellence in Public Relations and Communi­ca­tion Management“ sogar den beachtenswerten Ver­such, diese mo­ra­lischste Kommunikationsweise auch als die effek­tivste darzustellen. Ihre Belege dafür, „that the two way sym­me­tri­cal model is both more ethical and more effec­tive“ (Grunig/Grunig 1992: 309) sind nach ihren bislang in Deutschland vorgetragenen Berichten jedoch nur von ein­ge­schränkter Aussagekraft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die bei­den Grunigs im Verlauf ihrer Recher­chen die sym­metrische Kommunikationsweise mit asymmetrischen Befun­den ver­­knüpft fanden, bei der Anwen­dung beider Mo­­delle nach (edlen) Motiven statt nach (konkreten) Handlungen forschten und des­halb auch die Mur­phy­for­mel von Mixed-Motive-Mo­­dels benutzten (Grunig/Grunig/Dozier 1996: 201ff).
 
Vermutlich konnte es nicht anders kommen. Ein Dialog hat seinen Wert; er verbessert das gegenseitige Ver­ständ­­nis zwischen Kontrahenten. Aber Vincent Hazleton ist beizupflichten, wenn er feststellt, dass am Ende eines Dialogs stets zwei weni­ger kom­mu­ni­kative als geschäftliche oder politische Vorgänge stehen: »bargaining & negotiation« oder »problem sol­ving« (vgl. Hazle­ton 1992: 42). Fügen wir hinzu: Es steht ein Entscheidungsprozess an, der nicht immer in der win/win-Zone beider Dia­log­part­ner endet. Macht kommt ins Spiel.
 
Transparenz als Lebenselixier der Informationsgesellschaft
 
Sind Dialog oder Diskurs oder Debatte die angemessenen Spielregeln unserer Demokratie – und ihr Ausgang oft ein Wahlgang, daher eine Macht­frage –, so ist die Transparenz das Lebenselixier unserer Informationsgesellschaft. Sie lebt von trans­pa­­ren­ten Informatio­nen. Ein Pa­ra­dig­menwechsel in der moralischen Bewertung der vier Gru­nig’­schen Modelle erscheint da­her erforder­lich. Zu gelten hat: Wer In­for­mation leistet und damit Transparenz schafft, handelt moralisch ein­wand­frei. Nur muss er dazu bis­weilen Mut beweisen. Auch gehört die glaubwürdige, plau­sible und offe­ne Ver­tre­tung eigener Interessen zu den stringenten Voraus­set­zungen für Transparenz. Ehrlichkeit bezüglich der eige­nen Mo­tive ist ebenso gefordert wie Wahrhaftigkeit hinsicht­lich der vorgelegten Fakten. Medien und Publika wissen dann, wo­ran sie sind.
 
So stünde es jeder PR-Agentur gut an, bei auftragsbezogenen Pressemitteilungen einen Disclaimer hinzuzufügen, darin der Auftraggeber genannt wird. Im Code of Conduct der KothesKlewes-Agenturen heißt es lapidar: „Unsere Quellen sind jederzeit nachprüfbar und sind in den von uns aufbereiteten Informa­tionen ausge­wiesen.“
 
Medien vermitteln solche Transparenzen. Aber sie schaffen sie nicht selbst, ausgenommen die ganz seltenen Fälle, wo sie über ihre eigenen Produktionsverhältnisse berichten und nicht nur über die jedes anderen Wirt­schafts­zwei­ges. Der Stern hatte dies einmal mit der reich dokumentierten Aufdeckung der Affäre um die Hitlertagebücher ge­tan – »Be­trifft: Stern / Das Protokoll einer dramatischen Woche« prangte groß auf dem knallroten Titelblatt von Heft 22/1983 –; die Süddeutsche Zeitung tat es 20 Jahre später mit ihren Berichten über die Einstellung ihrer nord­rhein-westfälischen Ausgabe (vgl. SZ 15.3.2003: 20).
 
Für alle PR Praktizierenden muss gelten, dass gerade in kritischen Situationen Transparenz eine große mora­li­sche Heraus­­for­derung ist. In die Form eines Postulats gegossen, ist sie in der ersten der Sieben Selbst­ver­pflich­tun­gen ent­halten. Die Sätze, die in ihrer Unbedingtheit irritieren mögen, lauten:
 
„Mit meiner Arbeit diene ich der Öffent­lich­keit. Ich bin mir bewusst, dass ich nichts unternehmen darf, was die Öffent­lichkeit zu irrigen Schlüs­sen und fal­schem Verhalten veranlasst. Ich habe wahrhaftig zu sein.“
 
Dieses oberste individualethische Postulat aller mit Öffentlichkeitsarbeit betrauten Personen findet sich auch in dem genannten Code of Conduct von KohtesKlewes. Unter der Überschrift „Zusammenarbeit mit Me­dien“ heißt es lapidar: Wir vertreten die Interessen unserer Klienten in der Welt der Medien.. .Gleich­zeitig verpflichten wir uns, die Interes­sen der Öffentlichkeit zu wahren.
 
Die PR-Agentur betont wie der PR-Rat die doppelten Loyalitäten des Berufsstandes PR gegenüber par­ti­ku­lareren und allgemeineren Interessen (von „dual ob­liga­tions“ sprach 1988 auch der US-amerikanische PR-Ko­dex.) Zwi­­schen beiden Loyalitäten besteht ein Spannungs­ver­­hältnis. Konflikte und daraus erwach­sende Gewis­sens­­ent­schei­dungen sind häufig genug. Aber sie sind für Mitt­ler­funktionen typisch. Die Ver­suchung, den Geschäfts- oder Ge­sprächs­partner zu Gunsten der eigenen Orga­nisa­tion zu übervorteilen, ist Kaufleuten, Parteipolitikern, Diplo­­ma­ten und eben auch PR-Leuten eigen. Doppelte Loyali­tä­ten kennen viele Berufs­gruppen. Sie liegen auch der viel be­schwo­renen Ehr­barkeit des Kaufmannsstands zu Grunde.
 
Priorität aber hat der Satz vom Dienst: „Mit meiner Arbeit diene ich der Öffentlichkeit.“ Auf ihm beruht das Selbst­­­ver­ständnis des PR-Berufs. Öffentlichkeitsarbeiter sind der Öffentlichkeit verpflichtet wie die Juris­ten, auch die Kon­zern­­juris­ten, dem Recht, wie die Ärzte, auch die Werksärzte, der menschlichen Gesund­heit. Es ist das Grundmotiv für die Wahl des Berufs, und es ist damit auch die oberste Be­rufs­pflicht.
 
Bei den Ärzten führte diese Verpflichtung zu dem berühmten, sie alle bindenden hippokratischen Eid. Auch die Ingenieure nennen als ihre oberste Berufspflicht weder die Loyalität zum Arbeitgeber noch ein Kosten-Nutzen-Prinzip oder dergleichen Unterwürfigkeiten. Das „Bekenntnis des Ingenieurs im VDI“ be­ginnt seit 1950 mit dem Satz: „Der Ingenieur übe seinen Beruf aus in Ehrfurcht vor den Werten jenseits von Wissen und Erkennen und in Demut vor der Allmacht, die über seinem Erdendasein waltet.“ An dieser Verpflichtung gegenüber der Allgemein­heit haben auch die späteren Jahre der ökonomi­schen Denk­zwänge und des Profitstrebens nichts geändert. 1989 hieß es in den „Leitsätzen für die Aus­­übung des Berufs von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren“ im Verband Deutscher Elektro­tech­niker (VDE) wiederum an erster Stelle: „Sie sind bestrebt, die technischen Produkte und An­wen­dun­gen in einer Weise zu optimieren, daß ihr Nutzen das Ausmaß der möglichen Belastungen, Schädigun­gen und Gefähr­dun­gen eindeutig und weitaus über­wiegt.“
 
Die Legitimität der Ratssprüche
 
Das oberste individualethische Postulat aller mit Öffentlichkeitsarbeit betrauten Personen begründet auch die Autonomie der Ratssprüche, indem es auf einen Anspruch der Gesellschaft an die PR abhebt: PR hat ihr gegen­über Auskunftspflichten. Es be­ant­wor­tet damit die Frage, mit welchem Recht Räte welche Sprüche verkünden. Es ver­schafft ihnen Legitimität. Zum an­de­ren weist es auf die über jedes konkrete Orga­ni­sa­tionsziel hinaus­gehende gesell­schaftspolitische Funktion des PR-Be­rufs hin: Wie die Ärzte der Gesundheit der Bevölkerung dienen, die Juris­ten der Rechtspflege, die Ingenieure dem technischen Fortschritt, so dienen die PR Praktizierenden mit ihren Aus­künften und Darlegungen der öffentlichen Transparenz.