Perspektiven

Haben Ratsverfahren, ihre Sprüche und ihre Verweise auf Kodizes, Richtlinien, Sitte und Anstand eine gene­rel­l posi­ti­ve Wir­­kung auf die Gesittung eines Berufstands? Es ist die etwas boshafte Frage, ob sich denn durch die Arbeit des Ra­tes die Moral der PR-Zunft verbessert habe. Wer hierauf mit Ja antworten wollte, würde durch den nächsten spek­takulären Vor­f­all ziem­lich schnell eines besseren belehrt. Und doch ist es wie mit dem Wir­ken oder der Wirkungs­lo­sig­keit der 10 Gebote, aller Gesetze und aller Gerichtsbarkeiten: Eine ge­setzlose Zeit und eine skru­pellose Gesell­schaft würden die Menschheit dem Cha­os näher bringen. Moral-Kodizes, Verhaltens-Richtlinien und Ur­teils­sprüche schaffen Orientierungen.
 
Die praktischen Vorteile eines Kodex
 
Dean Kruckeberg von der University of Iowa hat einmal die praktischen Vor­teile eines Kodex aufgelistet, und man sollte sie nicht nur als eine Erwar­tung, sondern durchaus auch als eine Fest­stellung lesen (vgl. Kruckeberg 1990: 29f.):
Ein Kodex kann erstens den PR-Praktikern eine Richtschnur für ihr Handeln sein.
Er kann zweitens Agenturkunden darüber informieren, was sie von ihren PR-Beratern erwarten und was sie nicht verlangen dürfen.
Er bietet drittens einen Anhalt für die Rechtmäßigkeit von Klagen gegen PR-Leute.
Er bietet viertens auch die Möglichkeit, sich gegen Klagen oder Vorwürfe zu verteidigen.
 
Um der ersten Anforderung zu entsprechen, müssen Kodextexte einfach und repetierbar sein. Das ist mit den Sie­ben Selbstver­pflichtungen für den deutschen Sprachraum erreicht. Setzen sie sich durch, so können auch die anderen An­forderungen rea­listisch erscheinen: Ein anerkannter Kodex, vielfach vor­gelebt, durch veröffentlichte Fälle er­här­te­t, textlich nachvollziehbar auch für Außen­­stehende, bietet allen, die PR praktizieren, eine Absicherung bei Kon­flik­ten mit Auftrag- oder Arbeit­gebern. Ob sie dem Berufs­stand angehören oder nicht, haben sie in ihm einen Rückhalt bei orga­nisa­tions­in­ter­nen Verweige­run­gen, wie ihn heute in den Firmen nur angestellte Ärzte und ange­stellte Rechts­an­wälte haben. Und wer von übler PR geschädigt wird, weiß die Ver­fehlungen genau zu benennen, von de­nen er be­troffen ist.
 
Noch ist das ein Ziel und keine Realität. Zu fragen ist auch, was für ein hohes moralisches Bewußt­sein in einer Zunft dringlicher ist: die Kenntnis eines Sündenregisters oder die Angst vor Strafe.
 
Bedarf es der Kenntnis der Sündenregister?
 
Die erste Frage ist also, ob es auf den Bekanntheitsgrad der Regelwerke ankommt oder sogar auf das Re­zitie­ren ein­zelner Inhalte. Wir kennen die höhnische Schluß­folgerung, die der eine oder andere Kritiker aus wissenschaft­lichen Be­­fra­gun­gen zieht: Weil nie­mand ihre Kodizes kenne, feh­le der Zunft das mo­ra­lische Ur­teils­ver­mögen. Aber wer kann schon den ganzen De­ka­log de­kla­mie­ren oder das kei­nes­wegs sehr um­fang­reiche Gesetz gegen den unlauteren Wett­be­werb? Und doch hängt an ersterem unser normales Alltagsverhalten und an letzterem die Ehr­barkeit der Kauf­mann­schaft.
 
Man muß die Regelwerke der PR-Zunft nicht aufsagen können, um sich an ihren Maß­stäben zu orien­tieren. Auch wenn diese Texte aus den jeweils aktuellen Erfahrungen ihrer Verfasser ent­standen sind, liegen ihnen eherne, zu­nächst ungeschriebene Grundsätze des rechten Kommu­nizie­rens zu­grun­de. Sie wurden befolgt oder – mit ver­mut­­lich schlechtem Gewissen – mißach­tet, seitdem es Public Relations gibt.
 
Sie wurden nur vormals nie geahndet und ange­prangert. Selbst der PR-Rat führte in den ersten fünf Jahren seines Be­stehens ein Schat­ten­dasein. Jetzt, da die Umtriebe der öffentlichen Kommunikato­ren in der Presse breiter und kri­ti­scher erörtert werden, wird auch die Reflexion darüber vernehm­barer. Abhandlungen über die Moral in der PR füllen die Bü­cher­regale. Das Angebot an Vorle­sungen über diesen Stoff wird vielfältiger. Auch Befragungen über die mora­lische Befindlichkeit der Zunft finden vermehrt Aufmerksamkeit.
 
Die mora­lische Befindlichkeit der Zunft
 
Die jüngste stammt vermutlich vom Ende des letzten Jahrhunderts (ein genauer Zeitraum wurde nicht angegeben). Birgit Förg hat 25 Intensivinterviews mit arrivierten deutschen PR-Verantwort­lichen analysiert. Das ermittelte Bild ist verwirrend. Einerseits verstärkte sich für sie der Eindruck, „die PR-Moral wird nur nach außen zum Zweck der Image­­verbesserung propagiert“ (Förg 2004: 175). Auch hatten diese Altvorderen mit den Kodizes ihre Schwierig­keiten. Sie scheuten Theorien, und sie unter­stellten den Kodizes „eine Theorielastigkeit, die sie nicht besi­tzen“ (158). Das läßt auf eine Ethikferne schließen. Andererseits aber sind sich die Befragten überraschenderweise be­wußt, dass „der Be­kanntheits­grad der deutschen PR-Kodizes gesteigert werden soll“ (160). Auch stellt Förg fest, dass das Kontrollgre­mium PR-Rat „bei den meisten meiner Interviewpartner ein hohes Maß an Akzeptanz findet“. (165).
 
Das war vor der oben beschriebenen Hunzinger-Affäre im Jahr 2002. Seither ist das Problembewußtsein der PR-Zunft vermut­lich nachhaltig gewachsen. Die PR-Leute waren damals in regelrechten Verruf geraten. „Sag meiner Mutter bloß nicht, dass ich PR mache“ hieß die dop­pel­seitige Balken­über­schrift des PR RE­PORTs vom 9.8.2002. Der Ruf nach einem PR-Ratsverfahren gegen Moritz Hunzinger ging durch das ganze Land.
 
Möglicherweise könnte es für die Verbesserung der PR-Moral daher genügen, den Bekanntheitsgrad des Rates zu er­­­hö­hen. Das führt zu unserer zweiten Frage: Verbessert sich die PR-Moral, wenn eine breite Öffentlichkeit erfährt, welche Instanz es gibt, um Fehl­verhalten öffent­lich anzu­prangern? Der PR-Rat hat in jüngster Zeit an Beach­tung und Ansehen gewon­nen hat. Seine Wirk­sam­keit muß je­doch an zwei Kriterien gemessen werden: die Zahl der ein­gehen­den Beschwerden und die Zahl der abgeschlos­senen Verfahren.
 
Zunehmende Zahl an Beschwerden
 
Die Zahl der Beschwer­den nimmt von Jahr zu Jahr stark zu, wenn sie auch bei weitem nicht den Umfang der jähr­li­chen Ein­gänge bei Presse- und Werberat erreichen (ungefähr 40 : 400). Das liegt vor allem an der unter­schied­li­chen Struk­tur derjenigen, die sich beschweren: In der Werbung ist es das breite Publikum, bei der Presse ein eben­falls recht großer Kreis an empörten Lesern. Bei der PR können es eigentlich nur die medialen Kommunikatoren sein, die sich von PR-Leuten, den primären Kom­munika­toren, ge­linkt, be­sto­chen oder hintergangen fühlen. Aber den Presse­leuten fällt der PR-Rat nicht ein, wenn sie sich zu beklagen haben; sie be­richten höchstens darüber in ihren Medien. Daher gehen die Rats­mit­glieder selbst allen bedenklichen Vor­gängen nach, die sie durch Presseberichte erfahren.
 
Neben diesem einen Handicap gibt es ein weiteres, und es führt dazu, daß der PR-Rat bisweilen als zahn­loser Ti­ger be­schrieben wird, der sich zu keiner entschiedenen Verurteilung aufraffen kann: Seine Ratsver­fah­ren haben es nur sel­ten mit augenfälligem und eindeutigem Fehl­ver­hal­ten zu tun. Werbe- und Presserat können sich über sinn­fällige kom­mu­nikative Entglei­sun­gen beugen und Tat­bestände beurteilen: diffa­mierende Anzeigen, einseitige Meldungen, bös­artige Kommentare oder propagandistische Bil­der. Der PR-Rat hingegen hat es bei Korruptionsfällen mit ver­heim­lichten Aktio­nen zu tun; und bei Drohungen und Nöti­gungen leugnen die Urheber solche Motive. Wie sollen auch Täu­schungen ohne die Vorlage in­terner Dokumente aufgedeckt werden? Der Rat hat keine staats­­anwalt­schaft­lichen Ermitt­lungsbe­fug­nisse. Seine Hand­lungs­­spielräume sind beschränkt. Viele Verfahren enden daher notwendi­gerweise ohne eindeutigen Urteilsspruch.
 
„Sisyphos macht weiter!“
 
„Sisyphos macht weiter!“überschrieb daher die Zeitschrift WIRTSCHAFTSJOURNALIST 04/2005 ihre respekt­volle vier­seitige Analyse der Ratsarbeit. Sisyphos ist dabei weniger auf Presse­beschwerden als auf Presseresonanz an­ge­wiesen. Die Presse wird die Urteilsprüche des PR-Rates aber wohl nur dann ernstnehmen, wenn die PR-Leute selbst sie ernstnehmen. Solange die PR-Zunft damit nur Imageverbesserungen verbindet, wie es Birgit Förg und vor ihr schon Günter Bentele (s.o.) beschreiben, kann sich die Presse kaum zu einer ständigen Berichterstattung veranlaßt sehen.
 
Sisyphos arbeitet sich daher nach innen und nach außen weiter voran, und irgendwann wird er den Stein wohl auch über den Berg gerollt haben. Die Tätigkeit des Rates muß in den Me­dien­redaktionen der großen Blätter jedenfalls eine verstetig­te Be­achtung finden. Eine Informa­tions­gesellschaft, die diesen Namen verdient, darf nicht nur auf die Moral der medialen Kommu­nikatoren achten. Die Moral der primären Kommunikatoren bedarf mindestens ebenso dringend der differenzierten Beachtung.