Sanktionsmöglichkeiten

Viele Diskussionen und Kommentare über die Funktion der Räte enden mit der skeptischen, wenn nicht sogar ab­fälligen Frage nach ihren Sanktionsmöglichkeiten. Es ist derjenige Teil der Debatte, der am ehesten mutlos macht. Jede Übertretung, heißt es etwa im Code d’Athenes, würde als grober Verstoß betrachtet, der eine ent­sprechende Ahndung nach sich zieht. Aber solche Ahndungen könnten, wenn sie denn überhaupt geschehen, nur inner­halb der PR-Gesellschaften greifen, und diese Innungen rekrutieren in jeder Nation nur den kleineren Teil aller PR-Tätigen.

Bei dem Begriff Sanktionen erwartet man in der Regel schmerzhafte Bestrafungen, wie sie in normalen Gerichts­ver­fahren zu­stande kommen: Bußgeldzahlungen, Entzug von Vergünstigungen, Haft. Räte hingegen können nur rü­gen oder mahnen. Was aber bewirken schon verbale Verurteilungen? Über bloße Sprüche, so heißt es, lache man nur.

Reaktionsmuster

In der Tat gibt es solche Reaktionen gerade von Gescholtenen: Da diktierte einmal ein gerügter Agen­tur­chef einer Studentin der FU in ihre Recherche, er sei durch die Rüge erst richtig bekannt geworden. »Das hat für Aufsehen ge­sorgt. Ich habe vermehrt Anfragen gehabt.« (Braun 2000: 72) Moritz Hunzinger reagierte ähn­lich überspannt. Nach der Rüge sagte er den Medien, er lache darüber: »Es ist mir egal. Es ist auch meiner Beleg­schaft egal. Die lachen sich tot.« Der FOCUS brachte übrigens nur dieses Statement – als »Spruch der Woche«. (FOCUS 16.9.2002: 176)

Doch auch andere Reaktionen waren zu registrieren: Ein großer Sportrechtevermarkter bekundete nach der Rüge dem PR-REPORT: »Es war ein Schock für die Verantwortlichen.« Zwar sei man inzwischen darüber hinweg. Aber »nun will man keine weiteren Fehler machen und hält sich lieber zurück.« (PR-Report 2.6.2000: 8) Eine PR-Agentur drohte während des Verfahrens mit dem Gang zum Gericht. Eine solche Reaktion, die den PR-Rat übri­gens nicht beeindruckte, zeigt, wie scharf die Waffe des öffentlichen Rügens inzwischen geworden ist. Nur noch wenige lässt sie wirklich gleichgültig. Rügen sind für davon Betroffene heutzutage eine harte Buße, die sie in der Regel ver­mei­den wollen.

Eine gerügte Organisation akzeptierte ihren Ratsspruch allerdings sogar öffentlich: Sie erklärte nach dessen Ver­kün­dung am 9. Mai 2006: „Wir akzeptieren die Rüge wegen bezahlter Themenplatzierung, die der Deutsche Rat für Pub­lic Relations gegen­über unserem Engagement bei der ARD-Serie „Marienhof“ ausgesprochen hat. Wir bedauern die­sen Fehler …“

Die Signalwirkung der Rüge
 
Der PR-Rat unterscheidet zwischen Freisprüchen, Mahnungen und Rügen. Nur einen Verbandsausschluss kann er nicht verfü­gen, da er auch über Beschuldigte befindet, die keinem Verband angehören. Ein Ausschluss kann nur ge­schehen, wenn es im Falle von DPRG-Mitgliedern im Anschluss an ein PR-Ratsverfahren zu einem zweiten Ver­fah­ren vor dem Ehrenrat der DPRG kommt. Der kann einen Ausschluss aus dem Berufsverband beschließen und damit ein Signal für die Fähigkeit einer Zunft setzen, sich von angefochtenen Mitgliedern zu befreien. Die Signal­wirkung einer Rüge besteht hingegen in einem zeitlich begrenzten öffentlichen Ordnungsruf. Er ermöglicht es, ein Fehlver­halten zu ändern und in den Kreis der unbescholteneren zurückzukehren. Es soll ja keiner ein Sün­der auf ewig sein.
 
Ratsmahnungen
 
Ratsmahnungen werden ausgesprochen und veröffentlicht, wenn der beurteilte Sachverhalt nicht zu einer Rüge reicht; und meist wird diese Mahnung an alle Organisationen gerichtet, die aufgrund ihrer Struktur zu einem dem Vorfall vergleichbaren Verhalten geneigt sein könnten. Daraus mag dann der in erster Linie zu Ermahnende den Schluss ziehen, er sei gar nicht gemeint. Wer die Sprüche des Rats jedoch aufmerksam liest, erfährt aus der Be­schrei­bung des Anlasses den Verursacher.
 
Im Falle der Werbung können sich Beschuldigte einer Rüge entziehen, indem sie vom Werberat beanstandete Kam­pagnen ab­brechen oder diffamierende Aussagen ändern, und beides geschieht recht häufig. Gleiches gilt für PR-ko­dex­wi­dri­ges Verhalten, zum Beispiel das Angebot einer Erfolgsga­ran­­tie seitens einer PR-Agentur. Wird es nach einer Rats­auf­­forderung zurückgezogen, ist auch für den PR-Rat der Fall erledigt.
 
Pressereaktionen
 
Vom Presserat beanstandete Pressemeldungen können hingegen nicht rückgängig gemacht werden. Wird eine Re­dak­tion ge­rügt, muss sie dies laut Presserats-Satzung veröffentlichen und eigentlich nur sie. Tatsächlich werden sol­che Rügen nur selten in anderen Gazetten publiziert, da dies einer Kollegenschelte gleichkommt. Rügen des Presse­rats haben da­her nur einen be­grenz­ten Pranger. Rügen des Werberats greift die Presse allerdings gerne auf. Als sich der Werbe­rat mit den Anzeigen von Otto Kern oder Benetton befasste, erschienen die Berichte da­rüber in nahezu allen Zei­tun­gen landauf, landab.
 
Anders verhält es sich mit den Rügen des PR-Rats. Moritz Hunzinger zum Beispiel war der deutschen Presse viele Schlagzeilen wert. Aber als er schließlich gerügt wurde, blieb die Resonanz spärlich; das Beispiel FOCUS (s. o.) be­­weist es. Dass die Presse auf ihren Medienseiten kaum Notiz von PR-Ratsrügen nimmt, selbst wenn diese die Presse selbst angehen, ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass »die PR als ein Konterpart zum Jour­na­lis­mus im Medienjournalismus weitgehend ausgespart bleibt.« (Linke und Pickl 2000: 38) Das stellten zwei junge Eich­­stätter Absolventen vor Jahren in ihren Arbeiten fest; es gilt noch immer.
 
Die Funktion des Prangers
 
Eine öffentliche Rüge kann jedoch nur wirksam sein, wenn sie von der Presse wahrgenommen wird und der Gerüg­te damit „an den Pranger“ kommt. So wird es eine öffentliche Ächtung von PR-Übeltätern erst geben, wenn es zu einer kritischen PR-Pub­lizistik kommt, die der Qualität der Medien-Kritik entspricht. Dazu bedarf es freilich eines qua­­lifizier­ten, dem Wirtschafts­jour­nalismus vergleichbaren PR-Journalismus auch in Tageszei­tun­gen und Wochenblättern. Ihn gibt es noch nicht.
 
Auch andere Berufe beschäftigen sich mit solchen Überlegungen und sogar mit der Sanktionsmöglichkeit des „Pran­gers“ und der daraus erwachsenden „Schande“. Der bekannte Pädagoge Hartmut von Hentig hatte 1991 für die deut­schen Lehrer einen dem hippokratischen Eid vergleichbaren »sokratischen Eid der Lehrer« vorgeschlagen und dem, der dagegen verstoße, den Pranger angedroht:
 
Was in beiden Fällen – der Verletzung des sokratischen wie des hippokratischen Eides – droht, ist einfach Schande. Wer den von ihm freiwillig geleisteten Eid bricht, muss sich vor sich selbst, vor seiner ›Zunft‹, vor der Öffentlichkeit schämen – oder ausdrücklich rechtfertigen. Er hat ein von diesen drei ›Instanzen‹ geprüftes, für richtig gehaltenes Prinzip gebrochen. (von Hentig 1991: 63)