Lufthansa-Streit mit der SZ – Mahnung
Der Vorfall:
Mit Beginn ihres Sommerflugplans am 26. März 2001 kürzte die Deutsche Lufthansa ihre SZ-Abonnements von 21.750 auf 8.000 Exemplare. Verlag und Redaktion der Süddeutschen Zeitung brachten diese Maßnahme mit kritischen SZ-Artikeln in ursächlichen Zusammenhang. Sie beklagten öffentlich, dass bestehende Lieferverträge einseitig gekündigt wurden. Die Deutsche Lufthansa bestritt dies. Der LH-Bord-Service habe diese Entscheidung selbstständig und als Profit-Center nach rein kommerziellen Gesichtspunkten getroffen. Die Lufthansa-PR würde gegenüber Medien niemals mit Nötigungen oder Drohungen operieren. Ein solches Verhalten würde ihren Grundsätzen widersprechen.
Ob es sich bei der LH-Aktion um eine Strafmaßnahme (SZ-Standpunkt) oder ein Marketingverhalten (LH-Standpunkt) handelte, konnte der Rat nicht einwandfrei klären. Aufgrund des vorliegenden Materials und der Aussagen, auch der bezeichnenden Aussageverweigerungen seitens der Lufthansa drängte sich dem Rat eine Kausalität zwischen den LH-kritischen SZ-Artikeln und den abrupten hohen Abonnement-Kürzungen auf. Letzte Beweise fehlten dafür jedoch.
Erschwerend kam hinzu, dass auch der SZ-Verlag sich in wichtigen Fragen weigerte, Auskünfte zu geben: „Zu den detaillierten Inhalten von Verträgen mit Partnern nehmen wir grundsätzlich nicht Stellung.“ Eine ausführliche Darstellung des Falls erschien dem Rat angesichts der komplexen Sachlage angemessen.
Das Urteil:
Bonn, 8. April 2002.Der Rat bekräftigte zunächst seine bisherige Übung, für eventuelles Fehlverhalten nicht einzelne Personen zu belangen, sondern eine Organisation, da es ihm nicht obliegen kann, interne Zuständigkeiten zu untersuchen und zu bewerten. Insofern war es gleichgültig, ob ein schuldhaftes Verhalten dem LH-Bordservice oder dem LH-Vorstand oder der LH-Kommunikationsabteilung hätte zugeschrieben werden müssen.
Der Rat sprach sich mehrheitlich gegen eine Rüge, aber für eine deutliche öffentliche Mahnung an alle Unternehmen aus, ihre Einkaufsmacht gegenüber den Medien nicht zu missdeutbaren und in der Regel auch missdeuteten Handlungsweisen zu benutzen. Nötigungen oder Drohungen widersprechen den Grundsätzen rechtschaffener PR-Arbeit.
Für eine Rüge der Lufthansa sprach sich nur ein Ratsmitglied aus. Es bewertete die Beweislage als eindeutig. Die Nötigung habe schon deshalb gegriffen, weil sich die SZ nach anfänglicher aggressiver Publizität (Stellungnahmen, Anzeigen, Briefe an den BDZV etc.) ab der 2. Jahreshälfte 2001 gegenüber dem Rat und damit der Öffentlichkeit sehr bedeckt hielt.
Prüfbericht:
Mit Beginn ihres Sommerflugplans am 26. März 2001 kürzte die Deutsche Lufthansa ihre SZ-Abonnements von 21.750 auf 8.000 Exemplare. Verlag und Redaktion der Süddeutschen Zeitung brachten diese Maßnahme mit kritischen SZ-Artikeln in ursächlichen Zusammenhang. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die folgenden SZ-Beiträge, die dem Rat auch im Wortlaut vorlagen: „Jürgen Weber und die Lufthanseaten: Sie nehmen ihn beim Wort“ in SZ 21.2.2001, sowie „Piloten fordern 30 Prozent mehr Gehalt“ in SZ 8.2.2001
Der Rat prüfte (1) die Begründungen und vorgelegten Dokumente der Gegenseite, (2) den Kreis der Betroffenen, (3) den Ablauf der Kündigung und (4) die Aussagen des Leiters der Unternehmenskommunikation der Lufthansa.
1. Herr Klaus Walther, Leiter der Unternehmenskommunikation LH, bestritt sowohl in mehreren Schriftstücken wie in einer mündlichen Anhörung jeden Zusammenhang zwischen Pressekritik und Kündigung. Der SPIEGEL schreibe sehr häufig sehr kritisch über die LH und sei trotzdem niemals aus dem LH-Angebot entfernt worden. Er glaube auch nicht, dass der Lufthansa-Bordservice aus eigenem Antrieb eine solche „Strafmaßnahme“ durchführen würde.
Die Lufthansa benannte den Lufthansa-Bordservice als den Veranlasser der Kürzungen. Dem Rat wurde dazu eine interne LH-Notiz vom 23. Januar 01. vorgelegt und auf das frühe Datum hingewiesen:
betr. „Zufriedenheit unserer Kunden mit Einzelaspekten“: ….. „Lesematerial (dort insbesondere das Zeitungsangebot): traditionelle Stärke von LH, jedoch sinkende Zufriedenheit. Nach Trend zu mehr überregionalen Zeitungen (Erhebung von 95) nun wieder zurück zu mehr regionalen/lokalen Titeln? Vorgehen: Überprüfung der derzeitigen Beladungsstruktur, evtl. Testlauf und Messung?“…
Der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Dr. Jürgen Weber hatte in seinem Schreiben an Herrn Helmut Heinen, den Präsidenten des Zeitungsverlegerverbandes, am 6. Juni 01. auf diese Notiz abgehoben und sie folgendermaßen erläutert: „Aus unserer internen Dokumentation geht jedoch hervor, dass das Thema „Lesematerial“ bereits im Januar dieses Jahres auf die Tagesordnung einer Klausurtagung des zuständigen Passage-Bereichs gesetzt wurde. Die Entscheidung über die Neugestaltung der Abonnementbeziehung, die im Bereich Produkt- und Servicemanagement unter Kriterien der Medienvielfalt und der regionalen Nachfrage getroffen wird, fiel Mitte März und wurde Ende März wirksam.
Der Rat konnte über die hier angesprochenen „Kriterien der Medienvielfalt“ keine näheren Auskünfte erhalten. Die Ergebnisse der genannten Klausurtagung oder Pläne, aus denen die aus den Trends abgeleiteten Maßnahmen erkenntlich würden, blieben ihm vorenthalten. Dazu gehörten auch die in der LH-Notiz vom 23.1.01. vorgeschlagenen, aber mit Fragezeichen versehenen „Testläufe“ oder „Messungen“. Wenn zum Beispiel die SZ im März 2001 von 21.750 auf 8.000 Exemplare gekürzt werden musste, müsse diesem Zeitpunkt eigentlich eine Periode mit großen Stapeln an nicht an den Gates abgenommenen SZ-Exemplaren vorausgegangen sein. Dem LH-Bord-Service müssten hohe Remittentenzahlen vorliegen.
2. Von den von Herrn Dr. Weber angeführten „Kriterien der Medienvielfalt “ (s.o.) müssten – nach der Argumentation der SZ, aber auch nach dem Verständnis des Rates – mehrere Medien betroffen sein. Die Frage, welche anderen überregionalen Zeitungen Kürzungen erfahren haben, wurde nicht beantwortet. Da Bezugsänderungen zu sehr unterschiedlichen Zeiten des Jahres stattfänden (also wohl nur im Falle der SZ beim Wechsel vom Winter- zum Sommerfahrplan) seien Vergleiche nicht möglich. Eine Nachprüfung des Rates bei ivw.de ergab zumindest für die FAZ im Jahr 2001 keine Reduktion der Bordauflagen.
Dem Rat erschien es daher wahrscheinlich, dass nur die SZ von den Kürzungsmaßnahmen betroffen war. Das belegt auch eine dem Rat vorliegende interne LH-Anweisung der Abt. LH-Bordservicestrategie an alle deutschen Bodenstationen der LH. Darin hieß es: „22 03 01. Betreff: Süddeutsche Zeitung. Wir haben heute die deutschen Stationen und Lounges davon in Kenntnis gesetzt, dass ab 28. März in den LH-Gates der deutschen Flughäfen auf allen LH-Abflügen keine Süddeutsche Zeitung mehr angeboten wird und in den Senator- und Frequent Traveller Lounges die Menge der Süddeutschen Zeitung gekürzt wird. Wir bitten um entsprechende Kenntnisnahme und Umsetzung der neuen Bezugsmengen für die Lounges. Alternativ zur Süddeutschen Zeitung bieten sich die Titel Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Handelsblatt und in einzelnen Fällen die Frankfurter Rundschau an. Soweit möglich wurde dies bei der Mengenkalkulation zum Sommerflugplan berücksichtigt, die Liefer-Mengenlisten für die einzelnen LSG-Stationen erhalten Sie sobald als möglich.“
Der Betreff lässt erkennen, dass es sich um eine nur die SZ betreffende Maßnahme handelte. Dass sie sehr kurzfristig getroffen wurde, geht aus dem letzten Satz hervor („sobald als möglich“); auch legt dieser Satz die Vermutung nahe, dass die genannten anderen Blätter verstärkt geordert wurden.
3. In der Änderung der Bezugszahlen sah die SZ eine einseitige und überraschende Kündigung. Die SZ-Chefredaktion hatte in der SZ vom 23. Mai 01. unter dem Titel: „Lufthansa und Pressefreiheit“ geschrieben: „Damit wurden bestehende Lieferverträge mit dem Süddeutschen Verlag von der Lufthansa einseitig gekündigt“. Die Lufthansa wies diese Darstellung zurück. Es habe Verhandlungen gegeben und an deren Ende eine reduzierte Abnahmemenge gestanden. Dazu wurde dem Rat ein Brief von Herrn Walther an Chefredakteur Kilz vorgelegt, den er am 31.5.01. geschrieben hatte: „Wer im Wettbewerb die Nase einmal nicht vorn hat, sollte nicht das Grundrecht der Pressefreiheit strapazieren, um kommerzielle Interessen durchzusetzen.“
Der SZ-Verlag weigerte sich, diese Darstellung richtig zu stellen. Auf die schriftliche Ratsbitte, zu bestätigen, “ dass LH und SZ am 22. Februar 2001 für den Zeitraum vom 1. April 2001 bis zum 31. März 2002 eine Liefermenge von täglich rund 21.750 Zeitungen zu einem Stückpreis von 18 Pfennigen vereinbarten (worüber dem Ratsvorsitzenden einmal ein LH-Bescheid zur Einsicht vorgelegt wurde) und * dass diese Menge in etwa den früheren Mengenvereinbarungen entsprach (was der Rat vermutete), erhielt der Rat am 20. Dezember 2001 die Antwort: „Zu den detaillierten Inhalten von Verträgen mit Partnern nehmen wir grundsätzlich nicht Stellung. Daher kommentieren wir auch diese Zahlen nicht.“
4. Die Lufthansa hatte sich gegenüber dem Rat sehr kooperativ verhalten. Herr Klaus Walther, Leiter der Unternehmenskommunikation LH, konnte befragt und angehört werden. Seine schriftlichen und mündlichen Auskünfte weckten jedoch Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Herr Walther sagte aus, dass er erstmals am 4. April 2001 mit dem Fall befasst wurde. Vorher habe er nur beiläufig davon gehört. Von sich aus habe er sich nie mit dem Thema Zeitungsverteilung befasst.
Dem widerspricht eine dem Rat vorliegende interne SZ-Notiz vom 28. März 01., darin der SZ-Vertriebschef Daniel Oster an SZ-Geschäftsführer von Viereck über eine telefonische Mitteilung von Herrn Grieser vom LH-Bord-Service berichtete: „Die Entscheidung, die SZ an den Gates an allen Flughäfen in der BRD (Ausnahme München) nicht mehr anzubieten sondern nur noch im Flugzeug, wurde in Abstimmung mit LH-Vorständen und dem Leiter Unternehmenskommunikation LH, Herrn Klaus Walther, getroffen … Hr. Grieser wird mit Hr. Klaus Walther Kontakt aufnehmen, um dann die Verhandlungen weiterführen zu können.“
Der Rat konnte sich mehrheitlich nicht dazu entschließen, diese und andere interne Notizen bei seiner Urteilsfindung zu berücksichtigen. So standen für ihn Aussagen gegen Aussagen und Aussageverweigerung gegen Aussageverweigerung. Letztere hatten u. a. damit zu tun, dass sich, wie beide Seiten bekundeten, zwischenzeitlich wieder bessere Geschäftsbeziehungen angebahnt hatten. Die abgenommene SZ-Auflage läge bereits wieder bei 11.000 Exemplaren, hatte Herr Walther dem Rat im Januar mitgeteilt.