Freispruch für World Vision bei n-tv-Sendungen
Der Vorfall:
Nach den Recherchen von epd medien (Nr. 14, 23.2.2005) hat das Hilfswerk World Vision 2004 dem Nachrichtensender n-tv insgesamt elf Auslandsreportagen zu World Vision-Themen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Gedreht wurden die Reportagen, in de¬nen das Hilfswerk durchweg sehr positiv herausgestellt wird, von der Produktions¬ge¬sell¬schaft NeuSehLand TV (NSL TV), die einen Vertrag mit n-tv geschlossen hatte.
Für jeden Film mit einer Nettolänge von 29 Minuten sind nach Angaben von epd medien unter Bezug-nahme auf den Geschäftsführer von NSL TV Gerd Knuth rund 29.000 bis 37.700 EUR aufgewendet worden, die das Hilfswerk praktisch voll finanziert hat..
Im Abspann jeder Reportage erhält der Zuschauer den Hinweis „Mit freundlicher Unterstützung von… World Vision“. Damit sollte die nötige Transparenz über die Finanzierung der Beiträge aus Nicht-Sendermitteln hergestellt werden.
Auf Anfrage des DRPR betont Kurt Bangert: „Wir haben auch zu keiner Zeit Einfluss auf die Inhalte und Darstellungsformen der Beiträge nehmen können oder genommen.“ Der Sender habe „zu jeder Zeit die Kontrolle über die von ihm verantworteten und gesendeten Reportagen behalten.“ Dies ent-spricht dem in dem genannten epd medien-Beitrag wiedergegebenem Zitat aus der TV-Konzeptskizze von NSL TV: „Die redaktionelle Schlussabnahme jedes Beitrags erfolgt durch n-tv.“
Das Urteil
Bonn, 9. Mai 2006. Der DRPR sieht in dem Vorgang keinen Fall unzulässiger Schleichwerbung von World Vision.
Die Urteilsbegründung
Das Verhalten von World Vision war aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu prüfen: Entweder sind die Reportagen als kostenlos bereit gestelltes Material für den Sender zu werten oder die Repor-tagen sind als redaktionelle Leistung des Senders zu werten, die World Vision durch unterstützende Leistungen voll finanziert hat.
Zur ersten Perspektive: In Punkt 1.1 der DRPR-Richtlinie über Productplacement und Schleichwer-bung heißt es: „Die für mediale Empfänger kostenlose Bereitstellung des zu platzierenden Materials ist zulässig. (…) Sie kann auch das Angebot von vorproduziertem Film-, Hörfunk- oder Fotomaterial beinhalten. Die Entscheidung über den Einsatz dieser Angebote muss den Medien vorbehalten blei-ben.“
Bezogen auf den vorliegenden Fall ist es wichtig festzustellen, dass es die Entscheidung von n-tv selbst war, eine solche Reihe von Auslandsreportagen ins Programm zu nehmen. Die redaktionelle Schlussabnahme hat sich der Sender vorbehalten. Dabei hätten ein Beitrag oder Teile eines Beitrags zur Überarbeitung zurückgewiesen oder abgelehnt werden können. Wie realistisch dies in der Praxis war, ist hier nicht zu bewerten.
Ein Fehlverhalten von World Vision oder der anderen Beteiligten ist daher aus dieser Betrachtungs-weise des Falles nicht abzuleiten.
Zur zweiten Perspektive: Der Vertrag zwischen n-tv und der Produktionsfirma NSL TV spricht dafür, die Reportagen zunächst als redaktionelle Leistung des Senders zu betrachten, für die ein Financier gesucht und mit World Vision gefunden wurde. Bei dieser Betrachtungsweise ist dann die Frage zu klären, inwieweit eine unzulässige Einflussnahme auf die Sendungen bzw. den Sender gegeben war.
Nach § 8 des Rundfunkstaatsvertrags ist es unzulässig, wenn zum Beispiel durch Produktionskosten-zuschüsse an Filmproduktionsgesellschaften die „Verantwortung und die redaktionelle Unabhängig-keit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden“ (vgl. 1.6 der DRPR-Richtlinie über Product Placement und Schleichwerbung).
Der Rat vermutet, dass der Einfluss von World Vision viel größer war als Kurt Bangert in seiner Ant-wort auf die entsprechende Ratsanfrage zugibt (s. o.). Die Darstellung des Hilfswerks und seiner Lei-stungen in den Reportagen spricht dafür, ebenso die in epd medien genannte Verkaufsargumentation von NSL TV gegenüber World Vision („Mediawert“). Schlussendlich zeigt auch die Erfahrung, dass Autoren bei einer fremdfinanzierten Arbeit die Interessen des Auftraggebers zumindest im Hinterkopf haben. Eine kritische Beleuchtung der Rolle von World Vision war bei einer solchen Produktion si-cher nicht zu erwarten.
Dies haben n-tv und NSL TV wohl selbst auch so gesehen und die Beiträge folgerichtig als gespon-sorte Placements kenntlich gemacht, indem der Zuschauer im Abspann auf die Unterstützung durch World Vision hingewiesen wurde.
Ein Fehlverhalten der Beteiligten ist daher auch aus dieser Perspektive nicht zu erkennen. Ob die ge-wählte Form der Zuschauerinformation eine ausreichende Transparenz über die Finanzierung und den zu vermutenden Einfluss durch World Vision gewährleistet, muss hier nicht erörtert werden.
Ausblick
Der DRPR weist an dieser Stelle ausdrücklich auf eine medienpolitisch schwierige Situation außerhalb der Zuständigkeit des Rates hin. Wenn Sender aus Gründen fehlender Mittel auf die externe Vollfi-nanzierung von Beiträgen, hier sogar einer ganzen Sendereihe angewiesen sind, besteht die große Ge-fahr, dass sie ihre Programmhoheit und redaktionelle Unabhängigkeit verlieren. Umgekehrt erhält derjenige mehr Einfluss auf die veröffentlichten Inhalte, der es sich leisten kann, die gewünschten Themen auf seine Kosten herstellen zu lassen. Dieser grundsätzlichen Problematik lässt sich nach Ansicht des Rates nur durch noch genauere und schärfere Transparenz-Regelungen für die Sender entgegen wirken.