10 / 2007 Nichttransparenz bei Lobby­aktionen

Ratsrüge gegen Jan Burdinski
 
Der Vorfall:
 
Der Berliner Politikberater Jan Burdinski gab gegenüber Abgeordneten und im In­ternet vor, namens einer sogenannten „Koalition pro Patienteninformation“ für die Freigabe werblicher Produktinformationen für Pa­tienten einzutreten. Bei die­ser Koalition handelte es sich nach seinen Angaben im Internet (Stand 28. 9. 06.) um „ein Netzwerk aus Pa­tien­tenverbänden und Einzel­personen aus Deutsch­land… Unsere Verbände und Unter­stützer repräsentieren 55.000 Patien­ten“. Ziel sei es, eine fraktionsübergreifende Ar­beits­gruppe im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament zu schaffen, die „politischen Druck auf die Kommis­sion ausübt“, damit es bis ca. 2010 zu einer „Abstim­mung über gesetzliche Neu­regelung im Europäischen Parlament“ kommt.
 
Zwei der drei von Jan Burdinski angegebenen Patientenverbän­de stritten gegen­über dem PR-Rat ihre Teil­­nahme an dieser Koalition ab. Der dritte verweigerte eine Auskunft. Herr Burdinski legte seine Finanzquellen nicht offen.
 
Das Urteil:
 
Frankfurt, 10. Dezember 2007. Jan Burdinski konnte gegenüber der Öffentlich­keit weder seine Finanzquel­len noch die Träger der „Koalition pro Patienteninfor­ma­tion“ offen legen.
 
Dieses Verhalten widerspricht jeder fairen Kommunikation im Lobbyismus. Der Verstoß ist als schwerwiegend und vorsätzlich zu bewerten. Der PR-Rat spricht daher gegen den Politikberater Jan Burdinski eine öffentliche Rüge aus. Er be­zieht sich dabei auf die Rats­richtlinie zur Kontakt­pflege im politischen Raum:
 
Public Affairs-Berater und Lobbyisten tragen dafür Sorge, dass ihre Organisation, ihre Interes­sen und ihre haupt­sächliche Arbeitsweise (z.B. Lobbying, Pressear­beit, Ver­an­­staltungen etc.) in geeigneter Weise öffent­lich gemacht werden (1.1).
 
Public Affairs-Berater und Lobbyisten haben ihren politischen Gesprächspartnern ihre Auf­trag­­ge­ber, sowie ihre und deren Interessen jeweils offen zu legen (1.2).
 
Die Urteilsbegründung:
 
Trotz der schriftlichen Befragung des Herrn Burdinskis blieb unklar, wer seine Ko­a­lition bildet. Der PR-Rat erachtete seine Bereit­schaft zur Aufklärung des Sachverhalts als gering, da er an Behaup­tun­gen fest­hielt, die den Rat nicht über­zeugten. So bestritten zwei von drei im Webauf­tritt der Ko­alition und in der dort veröffent­lichten Pressemeldung genannten Trägerverbände glaubhaft eine Trä­gerschaft und jede finanzielle Beteili­gung. Auch die dritte Organisation stützte Jan Burdinski nicht; statt sich zu seiner Koalition zu bekennen, ver­weigerte sie schlicht eine Aussage zum kompletten Vorgang.
 
Der von Herrn Burdinski geäußerte Einwand, die von ihm ge­nannten Trä­ger­ver­bän­de hätten ihre Beteiligung selbst verschleiern wollen, trifft nur auf diesen – eventuellen – Träger zu. Akten­kundig ist je­doch, dass die bei­den anderen Ver­bän­de Herrn Burdinski gegenüber eine Nennung als Mitglieder der Koalition ver­weiger­ten und diese, soweit trotzdem geschehen, zu keinem Zeitpunkt autori­siert hatten.
 
Offen bleibt die Frage, wer die Koalition bildet und finanziert und wer Herrn Bur­dins­ki mit ihrer Vertretung be­auftragt hat. Vom Beschwerdeführer wurde der Ver­dacht geäußert, die Vorge­hens­­weise und die speziell aus­gewählten medizini­schen resp. Pharmazeu­ti­schen Segmente, die in diesem Bündnis gesammelt wur­den, leg­ten eine Finanzierung durch einen oder mehrere Phar­­makonzerne nahe. Diesen Verdacht hegte auch der Bun­­desselbsthilfeverband für Osteo­po­ro­se e.V., ohne ihn belegen zu können; vgl. sein Schrei­ben vom 15. August 2007 an den PR-Rat: „Gleichzeitig wurde für den Fall, dass sich der Verdacht, die Phar­maindustrie wür­de die Koali­tion unterstützen, (erhärtet,) die Distanzierung des Bun­desselbsthilfeverbandes für Osteo­po­ro­se e.V. an­gekündigt.“
 
Daher muss der Vorgang als verdeckte Kommunikation für unbekannte Absen­der und damit als schwerwie­gen­den Verstoß gegen die Kodizes eingestuft wer­den.
 
Herrn Burdinski wurde auch vorgeworfen, bei der Information von Bundestags­ab­ge­ord­neten be­wusst falsche Darstellungen verbreitet zu haben. Der von ihm be­nutzte Prä­sen­ter liegt dem PR-Rat vor. Darin ist eine Ver­änderung der Argu­men­tation ab Oktober 2006, vermut­lich auf­grund der damals einsetzenden kritischen Nach­­fra­gen durch einzel­ne Abgeordnete, dokumentiert. Herr Burdinski selbst spricht von einer Präzisie­rung seiner Aussagen. Die davon abweichende Ein­schät­­zung eines Abge­ordne­ten­büros kann politisch motiviert sein.
 
Es ist nicht Aufgabe des Rates, die politische Bewertung eines Sachverhaltes als falsch oder richtig darzu­stel­len. Allerdings bleibt zu beanstanden, dass die verän­derten Formu­lie­rungen der Präsentation keinen Ein­gang auf die Website der Koa­lition gefunden ha­ben. Der Rat ermahnte Herrn Burdinski und die „Koalition pro Patienteninformation“ da­her, in Abgeordnetengesprächen verwendete Präzi­sierungen der eigenen Position auch öffentlich zu verwenden. Insbesondere em­pfahl der Rat Herrn Burdinski und der „Koali­tion pro Patien­ten­information“, an­ge­sichts des Um­stands, dass die Arbeit der Koalition angeblich ausgelaufen ist, die Web­site zu deaktivieren, um weitere Irritationen zu ver­mei­den. Dies ist inzwi­schen auch geschehen.
 
Gegen Herrn Burdinski und das von ihm gegründete „ipas Institut für politische Ana­lysen und Strategie“ wur­de ferner der Vorwurf geäußert, die erste Studie die­ses Instituts mit dem Titel „Auswirkungen des Werbever­bots für verschreibungs­pflichtige Arzneimittel“ sei bereits Teil seiner Arbeit für die Koalition pro Pa­tien­teninfor­mation und durch diese fi­nan­­ziert. Auch wurde ihm vorgehalten, er habe in seiner Funk­tion als Herausgeber die­ser Studie deren Ergebnisse in seinem Vorwort bewusst ver­fälscht, um dem Anliegen der Koalition eine – vermeintlich – wissenschaftliche Basis zu ver­schaffen.
 
Zum erstgenannten Sachverhalt lagen dem Rat keine Aussagen vor. Der Ver­dacht konn­te nicht erhärtet wer­den. Im zweitgenannten Fall haben die an der Studie beteilig­ten Autoren die ge­äußerte Vermutung zurück­gewiesen. Der Rat sah daher keine Veran­lassung, diesen Vorwurf weiter zu verfolgen.