Jahresbericht 2002/2003

Wachsende Beachtung
Im Berichtszeitraum 2002 / 2003 konnte der PR-Rat eine zunehmenden Beachtung in der Öffentlichkeit registrieren: Die Zahl der eingegangenen Beschwerden verdoppelte sich von rund 10 auf rund 20. Diese befassten sich mit zum Teil den gleichen Vorfällen; von ihnen wurden 7 abgeschlossen, 5 befinden sich noch in Bearbeitung.

Die Vorwürfe befassten und befassen sich mit Schleichwerbung und Korruption; mit nicht statthaften Erfolgsgarantieversprechen; mit parteiischer Beratung durch PR-agenturgeleitete „Informationsvereine“; mit der Vortäuschung eigenständiger Interviews; mit der Vortäuschung unabhängiger Leseraktionen; mit Pressestellen, die es ablehnen, bestimmte Personen oder Berufsgruppen (z. B. Fotografen) bei Veranstaltungen zu akkreditieren; mit dem Anzeigenboykott wegen kritischer Presseberichte; mit der Alibifunktion sogenannter „Medienbeiräte“; mit der Zulässigkeit politischer Beraterverträge; mit Diskreditierungen und Desinformationen zur öffentlichen Vorverurteilung von Politikern etc.

Vermehrt werden dem PR-Rat auch Klagen von PR-Leuten gegen Medien vorgetragen. Der PR-Rat verweist sie an den Deutschen Presserat.

Die meiste öffentliche Aufmerksamkeit erhielt der Fall Moritz Hunzinger. Das Ratsverfahren führte am 11.9.02. zu einer stark beachteten öffentlichen Rüge des Agenturchefs. Der Fall Hunzinger veranlasste die DPRG außerdem, gemeinsam mit dem PR-Rat eine Verhaltensrichtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum abzufassen.

Neue Ratsrichtlinien
War die Arbeit des PR-Rates im Jahr 2002 vornehmlich auf die Beurteilung verschiedener Fälle von Fehlverhalten gerichtet, so stand 2003 die Verabschiedung von 3 neuen Ratsrichtlinien im Vordergrund.

Verhaltensrichtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum
Die Verhaltensrichtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum wurde durch die Rüge gegen Herrn Hunzinger ausgelöst.Dem Ansehen des Berufsstandes der PR-Leute hatte er erheblichen Schaden zugefügt. Dafür konnte der Rat eine Bestimmung des Verhaltenskodex der PR-Leute heranziehen (Art. 18 des Code de Lisbonne). Keinen Artikel gab es jedoch für dessen Verhalten selbst. Wogegen Herr Hunzinger verstieß, konnte nicht an einer präzisen Regel festgemacht werden. Prima vista war nicht einzusehen, warum er dem Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir keinen Kredit geben durfte, so empört jedermann darüber war.

Diese Lücke ist jetzt geschlossen. Die neue Richtlinie bestimmt in § 2.7 ausdrücklich, unmissverständlich und eindeutig: „Persönliche Zuwendungen an Politiker sind unzulässig. Als Zuwendungen gelten alle Formen der finanziellen Vorteilsgewährung, die über die Erstattung einsehbarer Aufwendungen hinausgehen.“ Und von materiellen Vergünstigungen, wie sie Rudolf Scharping zu Teil wurden, handelt der folgende § 2.8: „Materielle Vergünstigungen müssen wertmäßig so gestaltet sein, dass ihre Annahme vom Empfänger nicht verheimlicht werden müsste. Als materielle Vergünstigungen gelten Einladungen, Reisen, Fahrzeugausleihen für den persönlichen Bedarf, Unterstützungen etc.“

Der Text wurde von einer DPRG-Expertengruppe erarbeitet, der erfahrene Lobbyisten und Public Affairs-Sachverständige angehörten. Er wurde am 13.10.03 vom PR-Rat verabschiedet und am 23.10.03 in Berlin vorgestellt. Normalerweise ist damit das Verfahren beendet. Wegen der wachsenden Bedeutung von Lobbying und Public Affairs im Berufsfeld PR wird diese Richtlinie jedoch der Mitgliederversammlung der DPRG im Mai nächsten Jahres zur sozusagen letzten Lesung vorgelegt.

Bis dahin erhofft der PR-Rat auch den Abschluss der in den Übergangsbestimmungen ausdrücklich vorgesehenen Konsultationen „mit legitimierten Vertretern der deutschen Parlamente“. Erste Gespräche haben dazu bereits mit Frau Erika Sinn, der Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung stattgefunden. In der Geschäftsordnung des Bundestags müssten schließlich jene Regelungen ihren Niederschlag finden, die die Ratsrichtlinie in § 4.2 erwartet.

Grundsätze ordnungsmäßiger Ad-hoc-Publizität
Die 2. Ratsrichtlinie dieses Jahres beinhaltet die Grundsätze ordnungsmäßiger Ad-hoc-Publizität. Sie wendet sich vor allem gegen den Missbrauch dieser Finanzvorschrift zu marketingorientierten oder PR-induzierten generellen Unternehmensbotschaften. Unterteilt ist sie daher in 4 Gebote einer redlichen Publizität: Sie gebietet eine reine Tatsachendarstellung (keine Werbetexte), die Betonung des Neuheitswertes der Tatsachen (keine arglistige Täuschung bezügl. längst bekannter Tatsachen), die absolute Transparenz (wozu auch die Verständlichkeit gehört) und die Vermeidung von Irreführungen (z. B. durch die textliche Verschleierung misslicher Tatsachen). Grobe Verstöße gegen diese Gebote werden künftig nach den Regeln des PR-Rates öffentlich gerügt.

Die Ratsrichtlinie konkretisiert die bestehenden gesetzlichen Vorschriften des § 15 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) und entspricht dem feststellbaren Bedürfnis in der Finanzberichterstattung, sich regel- und sachgerecht zu verhalten. Der Text wurden im Arbeitskreis Investor Relations der DPRG eingehend erörtert, unter der Federführung von Josef Leis, Düsseldorf, erarbeitet und am 13.11. 03. in einer Pressekonferenz vorgestellt.

Product Placement und die Schleichwerbung
Die 3. und jüngste Ratsrichtlinie dieses Jahres behandelt das Product Placement und die Schleichwerbung. Für viele PR-Fachleute werden damit ganz wesentliche Aktivitäten berührt. Die Versuchungen sind sehr groß geworden, den ehernen Trennungsgrundsatz zwischen Anzeige und redaktionellem Beitrag oder zwischen Werbung und Programm zu verwischen und damit Leser oder Zuschauer über die Veranlasser einer Botschaft zu täuschen. Drei Tendenzen sind zu registrieren:

Erstens verleiten neuartige Formate und Spielelemente sowohl in den Printmedien wie beim Rundfunk zu fast unmerklichen Grenzüberschreitungen. Zweitens wächst die Bereitschaft vieler Medienverantwortlichen, solche Geschäftspraktiken einzufordern. Von einem Springervorstand berichtet die SZ am 11.10.03., er lobe öffentlich „mögliche neue Formen der Kooperation zwischen Anzeigenkunden und Redaktion aus.“ Und drittens ist vermehrt auch von Kommunikationswissenschaftlern die Forderung zu vernehmen, „das Verbot von Schleichwerbung zu lockern“ (Prof. Jo Groebel). „Die Dämme sind gebrochen“, überschrieb DIE WELT am 29.8.02. seine Forderung. Gregor Schönborn zieht aus diesem Sachverhalt die Folgerung, „ein drittes Format für das Kommunikations-Management“ zu schaffen (PR-REPORT Juni 2003), „die direkte Ansprache des Verbrauchers, losgelöst vom Werbeformat, klar deklariert und abgegrenzt von Redaktion“.

Der PR-Rat appelliert mit seiner jüngsten Richtlinie an alle Beteiligten, sich an die in einer Mediengesellschaft gültigen Normen zu halten. Er wird wie im Falle der anderen Richtlinien jeden ihm bekannt werdenden Verstoß gegen den Trennungsgrundsatz ahnden.

Dabei legt der PR-Rat auf die Feststellung Wert, dass Product Placement nicht mit Schleichwerbung gleichzusetzen ist. Product Placement ist nicht grundsätzlich verboten oder sittenwidrig. Wenn es einer Firma gelingt, ohne Entgeldzahlungen – und darauf kommt es an – ihren Namen, ihr Angebot oder ihr Personal im redaktionellen Teil der Medien zu platzieren, so ist daran kein Anstoß zu nehmen. Gleiches gilt für die politische PR mit Parteipersonal und Programmen. Marken, Produkte und politische Slogans gehören zum Alltag der Menschen, und sie gehören daher in die den Alltag reflektierenden Medien. Es ist daher auch nicht anstößig, solches „Placement“ gezielt zu betreiben und spezielle Placement-Agenturen als Mittler zwischen den Medien und den Auftraggebern einzusetzen.

Bei reinen Kinoproduktionen sind die Beteiligten in ihren Dispositionen übrigens relativ frei. Sie haben jedoch zu beachten, dass die meisten Filmproduktionen später von Redaktionen oder Programmverantwortlichen übernommen werden. Daher ist auch für sie die Beachtung der einschlägigen Vorschriften sittlich geboten.

Diese dritte der neuen Richtlinien befasst sich im weitesten Sinne mit Korruption. Dem Rat kam es dabei allerdings nicht auf die generelle mentale Korruption an, die häufig in zeitkritischen Publikationen erörtert wird und die man zum Beispiel hinter jeder üppigen automobilen Pressepräsentation vermutet. Diesen Komplex behandelt die Ratsrichtlinie über den Umgang mit Journalisten bei Geschenken, Einladungen und PR-Aufträgen, die 1997 als überhaupt erste Ratsrichtlinie verkündet wurde.

Tendenzen und Entwicklungen

Neue Kodizes:
Der PR-Rat hat ein wachsames Auge auf Extremfälle der mentalen Korruption durch ausufernde PR-Events und Pressepräsentationen. Im Berichtszeitraum waren solche Veranstaltungen allerdings eher selten geworden. Es ist zu hoffen, dass sich diese Tendenz fortsetzt. Der PR-Rat begrüßt ausdrücklich die vom Springer-Verlag erlassenen „Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit bei Axel Springer“. Er erwartet, dass dieser Kodex von den Industrie-Pressestellen in jeder Hinsicht respektiert wird. Am 15.12.03. wird mit Herrn Dr. Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG ein erster Erfahrungsaustausch über seine Leitlinien und die korrespondierenden Ratsrichtlinien zum Umgang mit Journalisten und zur Schleichwerbung stattfinden.

Auch andere Organisationen haben sich im Berichtszeitraum eigene Kodizes gegeben. In Deutschland ist es der Code of Conduct der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), der nach einem Bericht von w&v 2/2003 vermehrt zum festen Bestandteil von Agenturverträgen mit Auftraggebern wird.

International ist eine Declaration of Principles der kürzlich gegründeten Global Alliance von mehreren nationalen PR-Berufsverbänden zu registrieren. Dieser sehr rasch angefertigte Text stellt nachweislich eines Berichtes der Autoren im JOURNAL OF COMMUNICATION MANAGEMENT (Vol. 8/1-2003 p. 13 – 28) eine Synopse aus den Kodices verschiedener eher kleinerer Länder mit Ausnahme der USA dar. Er wird in der vorliegenden Form kaum geeignet sein, den Code d’Athenes zu ersetzen. Die deutsche Expertise ist darin zur Zeit nicht enthalten. Über eine Repräsentanz der deutschen PR-Leute in der Global Alliance war es erst danach zu einer Verständigung mit CERP gekommen.

Die International Communications Consultancy Organisation (ICCO), der Dachverband der nationalen PR-Agenturverbände, hat seine weltweit 850 Mitglieder am 3.11.03 ebenfalls auf einen neuen Kodex verpflichtet. Diese „Charta von Stockholm“ löst die bisherige ICCO-Charta von Rom von 1991 ab. Sie beinhaltet laut Pressemitteilung Aspekte wie die Objektivität der Beratung, Vertraulichkeit, Integrität von Information, Einforderung von Versprechen, Konfliktregelungen, Führungs- und Geschäftsstrategien.

Beide internationale Texte stellen damit vor allem auf praktische Verhaltensweisen ab; sie berühren nicht durchweg moralische Standards.

Geheimhaltungen:

Der Fall Toll Collect lässt die Frage aufkommen, in welchem Umfang die allseits geforderte Transparenz bei Vertragsverhältnissen zwischen Regierung und Privatwirtschaft zu gehen habe. Klar ist nur, dass der Tatbestand eines solchen Verhältnisses offen zu legen ist, damit eventuelle Abhängigkeiten offenbar werden. Darf aber sein Inhalt völlig „privat“ gehalten werden? Die Diskussion um die Offenlegung der Verträge mit Toll Collect zeigt die Kalamität: Private werden sich immer auf die Privatheit der Vereinbarungen berufen, auch wenn der Inhalt der Verabredungen das ganze Staatswesen und die gesamte Öffentlichkeit angehen.

Vielleicht wird in dieser Frage ein allmähliches Umdenken der Privaten weiterführen. Die Kontaktrichtlinie des Rates gibt hier die Richtung vor, nicht die Lösung.


„Verfälschte Interviews“

Neun große Tageszeitungen haben am 28.11.03. das Problem thematisiert, dass Interviewpartner immer öfter nachträglich in Interviews eingreifen, um inhaltliche Veränderungen zu erreichen. Nur in Ausnahmefällen scheinen sie sich damit nicht durchzusetzen. Der PR-Rat könnte dies als ein Beziehungsproblem zwischen autonom handelnden Personen ansehen. Aber in etlichen der neun Zeitungen wurde dabei ganz pauschal gegen die PR-Leute Klage geführt, deren Eingriffe zu verfälschenden Interviews führten. Damit steht das Ansehen aller PR-Leute auf dem Spiel.

Der PR-Rat appelliert daher an alle Kolleginnen und Kollegen, sich bei jeder nachträglichen Interviewbetreuung äußerster Zurückhaltung zu befleißigen. Alle solche Eingriffe werden in der Regel als ängstliche und voreilige Beflissenheiten interpretiert, die dem Standing der betreuenden Person nicht zuträglich sind und darüber hinaus dem Image des ganzen Berufsstandes schaden.

Vorverurteilungen
Auf Antrag befasste sich der PR-Rat in einer grundsätzlichen Diskussion mit der immer häufigeren Vorverurteilung prominenter Persönlichkeiten durch nicht eindeutig identifizierbare Quellen. Der Fall Möllemann war dazu einer von mehreren Anlässen. Diese Vorverurteilungen sind als Phänomene der medialen Massenkommunikation zu begreifen, weshalb in erster Linie die Medien mit ihren raschen Urteilen über einzelne Menschen in der Pflicht stehen. Aber Medien reagieren häufig nur auf die „Pressearbeit“ ungenannter Personenkreise, die bewusste Diskreditierungen betreiben oder leise Zweifel an Integritäten äußern. Hysterien über „Millionenverträge“ oder zu teure Dienstwagen (beides im Fall Gerster) werden teils bewusst geschürt, teils hingenommen. Willkürliche Ehrverletzungen können die Folge sein. „Niedrige Instinkte werden in politische Macht umgemünzt,“ schrieb die FAZ am 9.7.03.

Der PR-Rat sieht sich in der Pflicht, für den Schutz vor kommunikativer Willkür einzutreten, und vor der Herbeiführung von Vorverurteilungen eines Gegners oder Konkurrenten eindringlich zu warnen.

Horst Avenarius
Vorsitzender des PR-Rates

AUSFÜHRUNGEN VON Dr. HORST AVENARIUS AUF DER PRESSEKONFERENZ DES DRPR IN BERLIN AM 15.12.2003.

Meine Damen und Herren,

Einige von Ihnen werden die Jahrbücher des Deutschen Presserates und des Deutschen Werberates kennen. Sie haben einen Umfang von 376 resp. 482 Seiten. Im Vergleich zu diesen Institutionen liegt der Deutsche PR-Rat im Berichtsumfang weit zurück. Aber wir sind auch eine Generation später angetreten (1987 statt 1956 resp. 1972). Haben die anderen Räte es mit Hunderten von Beschwerden pro Jahr zu tun, so der PR-Rat vorerst nur mit vereinzelten. Das liegt kaum daran, dass die PR-Leute recht brav sind. Es liegt vornehmlich daran, dass bislang weniger Missetäter angezeigt werden. Von PR-Maßnahmen ent- oder getäuschte Journalisten und Publika kennen die Institution des PR-Rates zu wenig.

Das ging dem Werbeart in seiner Anfangszeit nicht anders, weshalb er damals in großen Anzeigen dazu aufrief, Verstöße gegen die guten Sitten anzuzeigen und Beschwerden vorzutragen. Der PR-Rat setzt statt Anzeigenwerbung auf Pressearbeit; das heißt, auf die allmähliche Steigerung der eigenen Bekanntheit durch Presseberichte. Hätte die Zahl der jährlichen Beschwerden den Umfang der beiden anderen Räte, müsste schließlich auch der Rats-Apparat damit Schritt halten. Noch ist er auf anderthalb Personen beschränkt.

Der PR-Rat hat also noch nicht das gleiche Gewicht in der öffentlichen Diskussion. Aber er hat sicher die gleiche Bedeutung. Ich wage sogar die Prognose, dass den primären Kommunikatoren, zu denen die PR-Leute gehören, neben den medialen Kommunikatoren, die Sie vertreten, künftig eine vergleichbar große Verantwortung zugemessen wird. Gerade die Entwicklungen der letzten beiden Jahre sind dafür symptomatisch. Ich werde sie kurz ansprechen.

Wachsende Beachtung
Auf dem ersten Blatt des Ihnen vorliegenden Zwei-Jahres-Berichts sind die Verfehlungen aufgeführt, die wir im Rat zu behandeln hatten, weil darüber Klagen oder Anfragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Verhaltens vorgetragen wurden. Bis auf den Fall Hunzinger sind es eher unspektakuläre „Sündenfälle“: Tricksereien, Täuschungsmanöver, Drohgebärden, erschlichene Publizierungen. Das alles sollte nicht vorkommen, kommt aber leider bisweilen vor. Wir haben hier keine Namen genannt, weil es in keinem dieser Fälle – Ausnahme Hunzinger – zu einer öffentlichen Rüge gekommen ist. Die anderen Räte machen es ähnlich.

Etliche Fälle sind noch nicht abgeschlossen. Das liegt an der Arbeitsweise des Rates. Er will nicht aus der Hüfte schießen. Er hört bedachtsam alle Beschuldigten an. Die Urteilsbegründungen werden stets reiflich erwogen. Auch das machen die anderen Räte nicht anders.

Der Fall Hunzinger hat viel Staub aufgewirbelt. Das Medieninteresse am Rat war sehr groß. Hörfunk und Fernsehen standen bis in den späten Abend vor der Türe des Tagungsraums. Sie berichteten auch sehr ausführlich, was erstmals zu einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung des PR-Rates führte. Die rund 10 Rügen der vorangegangenen Jahre hatten kein vergleichbares Echo hervorgerufen. Der Fall Hunzinger hatte auch eine Verhaltensrichtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum ausgelöst.

Drei neue Verhaltensrichtlinien
Ich komme damit zu einer weiteren Tätigkeit des Rates, und diese nahm in jüngster Zeit sogar unser Hauptaugenmerk in Anspruch: 2002 war unsere Arbeit vornehmlich auf die Beurteilung verschiedener Fälle von Fehlverhalten gerichtet. 2003 stand die Verabschiedung von 3 neuen Ratsrichtlinien im Vordergrund.

Sie haben die Texte vor sich liegen. Ich beschränke mich daher auf wenige Anmerkungen, zumal die beiden ersten der Öffentlichkeit bereits vorgestellt wurden: die Richtlinie zur Kontaktpflege am 23. Oktober hier in Berlin, die zur Ad-hoc-Publizität am 13. November in Düsseldorf. Die sehr eingehenden Darlegungen, die anlässlich dieser Ereignisse von unserer Seite vorgetragen wurden – ein Referat von Herrn Josef Leis zur Adhoc-Publizität und ein Kommentar von mir zur Kontaktrichtlinie – hätten sich in einem PR-Jahrbuch gut gemacht, auch viele Seiten gefüllt. Wer sie einsehen will, möge sich an unsere Geschäftsstelle wenden.

Die dritte Ratsrichtlinie über Product Placement und Schleichwerbung wird heute erstmals präsentiert. Auf sie gehe ich daher etwas näher ein.

Für viele PR-Fachleute werden mit ihr ganz wesentliche Aktivitäten berührt. Lassen Sie mich zunächst betonen, dass zwischen Product Placemet und Schleichwerbung unterschieden werden muss. Product Placement ist nicht grundsätzlich verboten oder sittenwidrig. Wenn es einer Firma gelingt, ohne Entgeldzahlungen ihren Namen, ihr Angebot oder ihr Personal im redaktionellen Teil der Medien zu platzieren, so ist daran kein Anstoß zu nehmen. Gleiches gilt für die politische PR mit Parteipersonal und Programmen. Marken, Produkte und politische Slogans gehören zum Alltag der Menschen, und sie gehören daher in die den Alltag reflektierenden Medien. Es ist daher auch nicht anstößig, solches „Placement“ gezielt zu betreiben.

Schleichwerbung ist das nicht. Schleichwerbung ist dann gegeben, wenn für ein solches Plaxement Zahlungen geschehen, ohne dass dies mit dem Begriff „Anzeige“ gekennzeichnet wird. Dann ist für Medienkonsumenten nicht ersichtlich, dass sie mit einer bezahlten Werbebotschaft konfrontiert sind. Dadurch sollen OLeser oder Zuschauer über die Veranlasser einer Botschaft getäuscht werden.

Die Versuchungen sind sehr groß geworden, den ehernen Trennungsgrundsatz zwischen Anzeige und redaktionellem Beitrag oder zwischen Werbung und Programm zu verwischen. Drei Tendenzen sind zu registrieren:

Erstens verleiten neuartige Formate und Spielelemente sowohl in den Printmedien wie beim Rundfunk zu fast unmerklichen Grenzüberschreitungen. Soche neuen Formen werden anscheinend systematisch gesucht. Von einem Verlagsvorstand berichtete die SZ am 11.10.03., er lobe öffentliche „mögliche neue Formen der Kooperation zwischen Anzeigenkunden und Redaktion aus“.

Gegen diese ungebrochene Ingeniosität hilft nur beharrliche Wachsamkeit. Ein Beispiel aus jüngster Zeit wird den Rat voraussichtlich noch zu beschäftigen haben: Die Münchener ABENDZEITUNG überlässt ihre Samstagsbeilage „Das Motormagazin mobil“ seit dem 11.10.03 komplett dem ADAC. Das sind sieben und mehr redaktionelle Seiten ADAC-PR! Der AZ bleibt dabei außen vor. Er darf noch eine Zweidrittelseite am Mittwoch bestreiten.

Das Beispiel macht sogar Schule. Der ADAC-Sprecher Michael Ramstetter berichtete der FAZ am 2.12.03 von „Anfragen von Zeitungen aus ganz Deutschland.“ Er stehe mit drei Verlagen bereits in konkreten Verhandlungen, und dabei handle es sich um „sehr bekannte große Titel“. „Die Verbreitungsgebiete der Zeitungen, die jetzt beim ADAX anfragten, sollen zusammengenommen das ganze Bundesgebiet abdecken können,“ schrieb die FAZ. Sie nannte das eine Meinungskonzentration.

Der PR-Mann Ramstetter hat der FAZ erjkörtm dass diese Initiative nicht vom ADAC sondern von der AZ-Geschäftsführung ausgegangen ist, und man kann es ihm glauben. Sie geben dafür sogar ihre Redaktionsstatute darauf. Die AZ kündigte vor Jahresfrist ein Statut, das mehr als 20 Jahre lang eine allzu enge Verquickung von Redaktion und Werbung verhinderte.

Das alles sind Folgen der aktuellen Medienkrise. Da werden dann Prinzipien über Bord geworfen, und renommierte Kommunikationswissenschaftler schließen sich leichtfertig dieser Forderung an. Das ist die dritte Tendenz, und sie wirft ein bedenktliches Licht auf unsere Wissenschaft. Offensichtlich spricht man den Fakten normative Kräfte zu. Prof. Jo Groebel, Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts, machte jedenfalls schon vor Jahresfrist den spektakulären Vorschlag, Schleichwerbung zu erlauben. Die WELT überschrieb am 29.8.02 seine Forderung mit dem Groebelzitat „Die Dämme sind gebrochen“.

Tendenzen und Entwicklungen
Der Springer-Kodex ist nicht der einzige, der in diesem Jahr entstanden ist. Der DRPR-Jahresbericht nennt vier andere. Wir erachten diese neuen Kodizes als Symptome für den wachsenden moralischen Orientierungsbedarf vieler Institutionen und Berufsgruppen. Dass wir zu solchen Entwicklungen in unserem Jahresbericht Stellung nehmen, ist neu. Aber wie der Presserat sich „zu Themen von grundsätzlicher Bedeutung“ äußert, so sollten dies auch die primären Kommunikatoren tun. Urteilen Sie bitte selbst, ob wir etwas zu sagen haben.

Ein Wort zu den durch nachträgliche Veränderungen häufig als „verfälscht“ erachteten Interviews. Am 28.11.03 führten neun renommierte Tageszeitungen darüber Klage und sie benannten die PR-Berater der Interviewten als die dafür verantwortlichen Spin Docters. In manchen Fällen mag eine solche Korrektur bitter nötig sein. Viele von uns haben das schon einmal erlebt. Keiner von uns möchte heute in der Haut der PR-Berater der Herren Schrempp und Breuer stecken. (Sie wissen um die Prozesse, die zur Zeit über deren Interviews geführt werden, und in denen es um sehr viel Geld geht.) Wir wenden uns daher nicht gegen das Verfahren, Intervies nachträglich zu autorisieren. Wir wenden uns gegen die beklagte missbräuchliche Ausnutzung dieses Verfahrens. Man übertreibe die Ängstlichkeit nicht. Häufig entstehen die nachträglichen Eingriffe nur aus dem Wunsch, PR drauf zu satteln. Das ist dem Ansehen des PR-Perufs abträglich.

Ein anderes Feld verdeckter PR-Arbeit beobachtet der Rat mit großer Sorge: Die häufig subkutane „Pressearbeit“ ungenannter Personenkreise, die durch Einflüsterungen bewusste Diskreditierungen betreiben. Das führt zu Vorverurteilungen in den Medien und damit in der Öffentlichkeit. Hysterien über „Millionenverträge“ oder zu teure Dienstwagen (beides im Fall Gerster) und willkürliche ehrverdletzungen können die Folge sein. „Niedrige Instinkte werden in politische Macht umgemünzt,“ schrieb die FAZ am 9.7.03 zum Fall Möllemann. Volker Zastrow hatte dabei auch den neuerdings „billigen, allgegenwärtigen und sozial tödlichen Antisemitismusvorwurf“ im Blick. Er bezog das auf diesen Fall. Aber es gilt auch für manchen anderen.

Der PR-Rat sieht sich in der Pflicht, für den Schutz vor kommunikativer Willkür einzutreten, und vor der Herbeiführung von Vorverurteilungen eines Gegners oder Konkurrenten durch versteckte PR eindringlich zu warnen.

Ein letztes Wort zum Phänomen der politischen Lügen. Der PR-Rat hat es in seinem diesjährigen Bericht – noch – nicht behandelt. Aber in künftigen Wahlkampfzeiten wird er ein wachsames Auge auf Versprechungen und Situationsschilderungen von Regierungen und Politikern als primären Kommunikatoren haben. Es sollte nicht wieder notwendig werden, einen sogenannten Lügenausschuss überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Ein Fazit: Es wird Ihnen deutlich geworden sein, dass wir uns als PR-Rat in der Pflicht sehen, für einen redlichen kommunikativen Umgang in der Bundesrepublik einzutreten. Vielleicht erscheinen Ihnen unsere Eingriffsmittel unwirksam. Das sagt man auch von vielen anderen Maßnahmen gegen schwer fassbare Vergehen in unserem Staatswesen. Denken Sie an die Bekämpfung der Schwarzarbeit oder der Steuerflucht! Aber wenn es uns gelingt, vermehrt ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen, ist schon viel gewonnen. Sie können uns dabei – in Ihrem eigenen Interesse – helfen.